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Nicht nur Kunst, auch Ambiente kann schön sein. Künstlerin Micky Focke (2.v.l.) zeigt ihre Bilder in einem beeindruckenden Altbau: Hohe, weite, helle Räume, in denen die mittelformatigen Kunstwerke eng an eng hängen. Sie lud wie 150 weitere Künstler zum Tag der offenen Ateliers ein. 

© Andreas Klaer

Kultur: Seelenlichter und Granit

Der 19. Tag der offenen Ateliers zeigt das breite Spektrum Potsdamer Kunstschaffenden

Die Sonne scheint über Potsdam. Als Künstler in Ateliers und Galerien ihre Werke am Tag der offenen Ateliers präsentieren, flanieren gut gelaunte Spaziergänger unter blauem Himmel vorbei an Musikern, die mit Blechblasinstrumenten in der Fußgängerzone den Frühling begrüßen oder fröhlich an und selbst auf Klavieren stepptanzen.

Zum 19. Mal haben Künstler am Sonntag ihre Werkstätten und Schauräume interessierten Besuchern geöffnet. „Immer wieder ist es ein ganz neuer Eindruck für mich“, stellt Birgit-Katharine Seemann, Fachbereichsleiterin Kultur und Museum, im Atelier der Malerin Micky Focke fest. Mehr als 150 verschiedene Künstler und Kunsträume laden ein. So können während des Tags allenfalls Schlaglicher das vielfältige Potsdamer Kunstleben beleuchten. Der Fokus liegt in diesem Jahr auf Einzelateliers, nicht auf den Atelierhäusern wie Rechenzentrum oder Sans Titre.

„Kunst ist schön, aber macht viel Arbeit“, zitiert Seemann das mutmaßlich von Karl Valentin stammende geflügelte Wort. Aber nicht nur die Kunst, auch das Ambiente kann recht schön sein. Micky Focke zeigt ihre Bilder in hübschem Ambiente: Altbau, hohe, weite, helle Räume, in denen die mittelformatigen Bilder eng an eng hängen. Focke ist Architektin wie auch ihr Mann, in dessen Räumen sie ihre malerischen Arbeiten zeigt: Kindergesichter, Fische umflort von Plastikmüll, verschleierte und unverschleierte Frauen. Der Malerin ist die soziale Relevanz ihrer Arbeiten wichtig. „Kunst ist nicht nur l’art pour l’art, sondern hat oft einen gesellschaftlichen Auftrag“, kommentiert Seemann die Bilder von Focke.

Aber Kunst kann auch Verborgenes zutage fördern. Unter das Motto „Ich sehe was, was du nicht siehst“ hat der Künstler Lothar Krone seinen Rundgang durch Potsdam gestellt. Mit wachem Blick und einfühlsamen Ton öffnet er den Besuchern die Augen für die Kunst in Ateliers und am Wegesrand, die häufig abseits der großen Themen entsteht und im Unspektakulären umso intensiver wirkt.

Durch ein unendliches Meer schwimmt eine Frau und scheint doch nicht verloren im uferlosen Blau. Ein Bild einer Serie von Beate Wätzel. Auf einem anderen Foto huschen Lichtpunkte über eine Häusersilhouette. „Das war ein blutroter Sonnenaufgang“, erklärt die Fotografin. Doppeldeutig: Denn sie hat das Foto in Paris, im 12. Arrondissement aufgenommen, aus einer Dachgeschosswohnung, am Morgen nach den verheerenden Terroranschlägen, bei denen Verbrecher in die feiernde Mengen des Konzerthauses Bataclan feuerten. Die Fotografin konnte sich die Lichtpunkte und Leuchtstreifen auf dem Foto nicht erklären. „Das ist Magie, das sind die aufsteigenden Seelen“, mutmaßt sie, zumal die Lichtpunkte ihren Ausgang gerade in den erleuchteten Fenstern nahmen. Später entdeckte sie den technischen Defekt der analogen Mittelformatkamera, mit der sie arbeitet, wenn sie ihre künstlerischen Arbeiten fertigt. Dennoch fotografierte Wätzel mehrere Serien mit der speziellen Optik. Dabei stellte sie fest, dass sich häufig Koinzidenzen zwischen der technischen Störung und dem Sinngehalt des Bildes ergeben. Vielleicht zeige sich in den Bildern doch mehr als der Widerschein der Realität, so die Fotokünstlerin. Vergangene Realitäten zeigt die Bildhauerin Silvia Klara Breitwieser mit ihrer Fotoserie im Atelierhaus Neue Panzerhalle in Groß Glienicke. Fotos der Fliesen der Sacrower Kirche, aufgenommen im Jahr 1991, dokumentieren auch, wie sich die Zeiten wandeln und Geschichte und Architektur fortgeschrieben werden.

Das Spektrum der Potsdamer Kunst ist weit. Es reicht von zarten Aquarellen des Bildhauers Hans Scheib bis zu den Granitfiguren von Norbert Müller in Golm. Den härtesten Stein bearbeitet er mit Meißel und Schleifer und schafft so schwarz glänzende Figuren, Körperfragmente und Köpfe. Diese verblüffen in ihrer Sensibilität genauso wie die Zeichnungen von Scheib, die lichtdurchflutet erscheinen. Zerbrechlich wirken die mit leichtem Stich aufs Blatt gebannten Akte.

Auch die Gläser, Vasen und Bilder, die Gosha Nagashima-Soden fertigt, zeugen vom empfindsamen Blick der Künstlerin auf die Welt. Fein ziseliert verweben sich Blumen- und Blütenmuster, gezeichnete Linien und ornamentale Zeichen. Geboren in Indien, aufgewachsen in Kashmir, studiert in Japan, hat es die Künstlerin schließlich nach Potsdam verschlagen. „Für mich ist alles Kunst“, stellt Nagashima-Soden fest. Und tatsächlich: Die Bilder, Objekte und auch der Garten, in dem Pflanzen aus aller Welt blühen, versprühen einen Hauch von Schönheit und Leichtigkeit, der sich vielleicht auch aus dem Weltbürgertum der Künstlerin speist. „Ihr Leben ist der Gegenentwurf zu meinem“, bemerkt Lothar Krone, der in Potsdam geboren und aufgewachsen ist und noch immer in der Stadt wohnt. Als der Künstler die Geschichte der Wilhelm-Staab-Straße und des unbekannten Deserteurs auf dem Platz der Einheit erzählt, wird klar, dass beide Leben von der intensiven Wahrnehmung und der Neugierde einer künstlerischen Sicht auf die Welt geprägt sind.

Richard Rabensaat

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