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Kultur: Seelen, die über Seen wandeln

Der Potsdamer Lichtkünstler Rainer Gottemeier philosophiert in Musik und Kunst

Rainer Gottemeiers Lichtskulpturen verzaubern auf den ersten Blick. Aber da ist mehr. Was hübsch anzusehen ist, birgt immer eine sorgfältige Recherche. Viele gedankliche Schichten liegen unter der leuchtenden Oberfläche. Seine Installationen seien wie ein Palimpsest, wie eine Schriftrolle, die vielfach beschrieben, wieder abgekratzt, neu beschrieben worden sei, so Gottemeier. „Seelewaschen nannte er eine Lichtinstallation auf dem Maschteich in Hannover 2013. „Die Leute fingen an zu flüstern, wenn sie die Installation gesehen haben“, erzählt er.

Die griechischen, lateinischen und indischen Ausdrücke für das Seelische waren der Ausgangspunkt für die Installation: Pneuma, Anima, Atman, Spiritus. Bojen mit aufragenden Neonleuchten pulsierten in unregelmäßigem Rhythmus auf dem Wasser. Lichter über dem See, die manchem Betrachter wie wandelnde Seelen vorgekommen sein mögen. Darüber schwebt ein Hauch von Metaphysik.

Die Form und die Gedanken der Lichtinstallation nimmt Gottemeier nun für sein Projekt „Lichtachsen im Potsdamer Stiefel“ wieder auf. Gottemeier hat eine verblüffende Entdeckung gemacht: Die Landflächen, die von den Seen bei Potsdam umfasst werden, ergeben die Form eines Stiefels. Auf dem Petzower Haussee installiert Gottemeier eine Ellipse aus schwimmenden Steelen und „holt damit die Sterne vom Himmel“, wie der Pressetext formuliert. Zu der Lichtinstallation gesellen sich die Landschaftsarbeit von Harry R. Sinske und eine Performance von Brigitta C. Quast. Beide nehmen die Form der Wasserellipse auf, wobei Quast tänzerisch die Form nachbilden und Sinke den natürlichen Grasbewuchs vor Ort gestalten wird. Bei der Betrachtung der Kunstwerke und dem Spaziergang durch den Park würden dann auch die Besucher Teil der Performance, sagt Gottemeier. Die Installation ist vom 9. September bis 29. Oktober zu sehen.

Der Künstler wurde 1949 in Berlin geboren. Trotz einer wenig komfortablen sozialen Ausgangssituation in der Familie sei da immer ein Platz für Bilder und Lieder gewesen. „Meine Mutter war nach dem Krieg eine alleinstehende Frau mit vier Kindern. Das muss hart für sie gewesen sein, aber wir hatten dennoch eine unbeschwerte Kindheit. Es war immer alles da“, sagt er. Nach der Wende zog es ihn ins Umland. Im ehemaligen Schriftstellerheim der DDR in Petzow fand er ein Atelier, gründete einen Verein. Als sich seine Aktivitäten in Potsdams Umgebung mehrten, entschloss er sich 2007, nach Potsdam-Fahrland zu ziehen, wo er auch heute mit seiner Frau Solveig wohnt. Er ist viel unterwegs, da bildet das Haus in der neu gebauten, etwas abgelegenen Siedlung einen Ruhepol.

Bei einem Lichtparcours in Braunschweig ließ Gottemeier 2010 auch ein Lied über den See klingen. Damit trafen sich die beiden Welten der Musik und der Kunst, die das Leben des Künstlers bestimmt haben. Denn in den 1970er-Jahren war Gottemeier Musiker, ein bekannter Liedermacher. Noch heute finden sich Videos von ihm und seinem Partner Olaf Kaminski im Internet. Singles, mehrere erfolgreiche Schallplatten, handgezupfte Gitarrenmusik mit Folkeinschlag, ein Vertrag mit einem bekannten Musikproduzenten: Das Duo hätte weiter an einer erfolgreichen Musikerkarriere basteln können. „Aber je mehr ich vom kommerziellen Musikgeschäft mitbekommen habe, desto mehr hat es mich abgestoßen“, erklärt Gottemeier. Also machte er Schluss mit der Musik: „Das war hart, auch körperlich.“ Schweres Rheuma, das nach Einschätzung des Künstlers psychosomatisch verursacht war, streckte ihn nieder. Mit geschwollenen Gelenken unterzog er sich mehreren Kuren. Schließlich verschwand die Krankheit wieder.

Aber die Liebe zur Kunst blieb. Auch wenn es finanziell erst einmal schwierig wurde. Fasziniert vom Kino, von Bildern, begann er zu fotografieren. Die farbige Leuchtkraft von Pigmenten zog ihn in seinen Bann. Aus gestreuten Pigmenten wurden Landschaften, die an farbige Wüsten erinnerten und schnell Beachtung in Ausstellungen fanden. Ganz konnte Gottemeier aber immer noch nicht von der Musik lassen. So schuf er seine „Cameramusik“, meditative Kompositionen, in denen sich ein sphärischer Klangteppich mit dem Klicken von Kameragehäusen verbindet. Der Liedermacher war unversehens in der Neuen Musik gelandet. Einladungen zu Festivals folgten. Hierbei lernte er den Bamberger Kulturwissenschaftler Dieter Wuttke und die Künstler des „Instituts für Untersuchungen von Grenzzuständen ästhetischer Systeme“ kennen, eine von dem Ludwigsburger Pädagogen Hubert Sowa initiierte Gruppe. „Ich habe ja nie studiert, aber von denen habe ich unheimlich viel gelernt“, erzählt Gottemeier. „Rainer war eigentlich immer am lesen, meistens Philosophen“, ergänzt seine Frau Solveig.

Der übergreifende, philosophische Blick auf die Kunst und der präzise Blick auf die Welt ist geblieben und prägt seine Kunst. Viele Arbeiten Gottemeiers im öffentlichen Raum verbinden beides, so wie der aus leuchtenden Neonbuchstaben geformte Spruch, der 2012 an Potsdams Altem Rathaus angebracht wurde: „Das gebieterische Gesetz der Notwendigkeit zwang mich, viel dem Zufall zu überlassen. Das Verhalten eines Piloten, der sich mehr den Launen des Windes als den Angaben des Kompasses überliefert.“ Das Zitat von Friedrich II. sei auch heute noch hochaktuell, sagt Gottemeier. Darum verblieb die Installation wohl auch, als das Jubiläum von Friedrichs 300. Geburtstag abgelaufen war.

Gelegentlich sind die Lichtinstallationen ironisch unterlegt. Das aus Neonstäben geformte Bild eines Matrosen, der an der Hamburger Elbchaussee übers Wasser grüßt, nannte Gottemeier: „Bravo Charlie“. „So unmilitärisch würde ein Matrose nie grüßen“, sagt er. Nicht das Experiment oder die Expression sind Ausgangspunkt der Arbeiten Gottemeiers, sondern das Interesse an Stimmungen, Atmosphären. Die Untersuchung der lokalen Schichten, auf die sich seine jeweiligen Installationen beziehen, machen die Installationen für Gottemeier spannend – und für den Betrachter entsteht so viel mehr als nur ein hübsches Lichtspiel.

Richard Rabensaat

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