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Viel Vergnügen. Am Schwarzmeerstrand hat man offensichtlich Sinn für Humor, der Schiffsrumpf ist Teil eines Vergnügungsparks und sieht doch auf den ersten Blick so echt aus. Klaus Fahlbusch zeigt das Bild in seiner neuen Ausstellung „Seconds of my Life“.

© Klaus Fahlbusch

„Seconds of my Life“ in der Fotogalerie Potsdam: Der Sekundensammler

Der Potsdamer Klaus Fahlbusch zeigt Street Photography – Kurzgeschichten in Bildern.

Im ersten Moment ist man erschrocken. Was ist passiert? Ein Unglück? Oder liegt hier ein altes Wrack am Strand? Und warum kümmert das keinen, nicht die Badenden und nicht das Paar am Kaffeetisch, versunken im Gespräch? Keinen Blick übrig für das Heck des riesigen Dampfers, das hinter ihnen hoch und schräg aus dem Wasser ragt. So schräg im Übrigen wie die Streifen der Bluse der Frau – es gibt schon komische Zufälle.

Klaus Fahlbusch sieht so was. Die skurrile Szene am Schwarzmeerstrand von Varna, wo natürlich kein abgesoffener Dampfer liegt und dieses halbe Schiff auch kein echtes ist, sondern Teil eines Vergnügungsparks, wer weiß, vielleicht mit einer Wasserrutsche. Kombiniert mit den Assoziationen unserer zivilen, aufgeräumten Lesart ergibt das ein köstliches Bild-Erlebnis, ein besonderes Moment. Entstanden in einer Sekunde.

„Seconds of my Life“ hat Fahlbusch jetzt eine Ausstellung mit gesammelten Sekunden-Geschichten genannt. Interessant ist das „my“: Fahlbusch sieht sich hier als Sammler, der aus seinem eigenen Schatz austeilt. Aus seinen vielen Sekunden, die im Laufe seiner fotografischen Arbeit zusammengekommen sind. Die spontanen Schnappschüsse aus der Hüfte, bei denen nicht mal Zeit ist, durch den Sucher zu schauen. Nicht immer gelingt das. „Neun Mal hat man Pech und ein Mal Glück“, sagt Fahlbusch. Er möchte beim Fotografieren nicht ertappt werden, weil sonst die Ursprünglichkeit der Szene, die Spontanität verloren wäre. „Sobald die Menschen mitkriegen, dass ich fotografiere, beginnen sie zu posen“, sagt Fahlbusch. Das will er nicht. Im Unterschied zur Kunstfotografie, bei der der Fotograf auch immer direkt für den Rezipienten und auf ein Produkt hin arbeitet. Auch das kann Fahlbusch gut, aber dann ist er ein anderer, ein Künstler, ein Szenenbildner.

Auf der Straße ist Fahlbusch Sammler. Mit wenig Zeit. Die sogenannte Street Photography bildet immer originale Momente ab. Sofern man einen Blick dafür hat und das Bild sieht, die Szene, die Sekundengeschichte. In der doch oft so gewaltig viel drin steckt.

Die Bilder, die jetzt in der Fotogalerie Potsdam im Treffpunkt Freizeit zu sehen sind, stammen aus den vergangenen zehn Jahren und allen Enden der Welt, viele aus Asien, Südamerika, Europa, Ukraine und Israel. Aber eigentlich ist die Herkunft unerheblich. Alle Bilder zeigen, dass der Mensch überall in seiner Welt Geschichten zu erzählen weiß. Dass man sie nur sehen muss. Fahlbusch als Fremder und Weltreisender lässt sich ein auf das, was er vorfindet. In der Unvoreingenommenheit, aber auch seinem Sinn für Humor und Zweideutigkeiten liegt die Chance für Entdeckungen. Er fotografiert einen betenden Juden an der Klagemauer, der sich ein Telefon ans Ohr hält. Er zeigt eine junge Frau auf dem Gemüsemarkt, in sich versunken und irgendwie würdevoll, wartend auf Kundschaft. Auch das rotbäckige Kind an der Hauswand wartet, in dicke Stricksachen gekleidet gegen die Kälte des peruanischen Hochlands. In einer Kirche in Kiew steht eine Frau betend vor einem Kreuz mit dem Bild eines orthodoxen Popen. Mit ihren jeweiligen Kopfbedeckungen und auf Augenhöhe wirken beide wie im Zwiegespräch. Witzig sind die Mönche auf einer geschäftigen Straße in Myanmar, gekleidet in purpurrote Gewänder, dahinter ein Werbebillboard mit einer jungen, modernen Frau im roten Kleid. „Red, Sexy“ ist darauf zu lesen.

Bei aller Zufälligkeit besitzt Fahlbusch einen ganz besonderen Sinn für Raum und Bildaufbau. In Rio breitet die bekannte Christusstatue ihre Arme weit aus, während im Vordergrund zwei junge Touristinnen einen Selfiestick in den Himmel heben – Anbetung hier und da. In Madagaskar läuft ein Junge die rostrote matschige Straße entlang, die wie eine Allee von meterhohen Affenbrotbäumen flankiert ist – ein Bild wie das Ende eines Spielfilms. In Indien hat Fahlbusch einen Hund erwischt. Er steht auf einer Mauer, am Gebäude dahinter liest man den Schriftzug „Paradies“. Der Hund aber reißt das Maul weit auf, er muss laut gebellt haben und der Fotograf hat ihn sozusagen im Augenblick des größten Maules erwischt. Die spitzen Zähne des wilden Mischlings stehen im wütenden Kontrast zum „Paradies“ im Hintergrund.

Fahlbusch, geboren in Thüringen und seit Jahrzehnten in Potsdam zu Hause, ist immer wieder auf Reisen, besonders gern in Ländern an der Grenze zur sogenannten Dritten Welt. Dort gefällt ihm das weniger perfekte, ordentliche Leben, das oft auf der Straße stattfindet – anders als in der westlichen, nüchternen Abgeklärtheit. Die oft drastische Armut, die ihm dabei begegnet, nimmt er durchaus wahr. Das Bild eines verkrüppelten Bettlers mitten auf einer Straße in Neu Delhi tut weh. Man sieht die Füße der vorbeieilenden Passanten, den leicht skeptischen Blick des Mannes in Richtung Kamera. Eine Sekunde seines Lebens.

„Seconds of my Life“ bis 23. November in der Fotogalerie Potsdam, Treffpunkt Freizeit, Am Neuen Garten 64, geöffnet Montag bis Freitag von 8 bis 21.30 Uhr

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