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„Scobel fragt“ im Hans Otto Theater: Wir sind alle Migranten

Bei „Scobel fragt“ im Hans Otto Theater geht es am 19. März 2019 um Flucht und Migration. Zu Gast sind Hatice Akyün und Jochen Oltmer.

Potsdam - In Francis Ford Coppolas Meisterwerk „Der Pate“ wird die Migrationsgeschichte der Hauptfigur Don Vito Corleone so erzählt: Der kleine Vito Andolini flieht Anfang des 20. Jahrhunderts bettelarm auf einem Schiff in die USA, nachdem er in seinem sizilianischen Heimatort seines Lebens nicht mehr sicher ist. Dort angekommen, wird er erstmal registriert. Auf die Frage nach seinem Namen antwortet er – natürlich – nur mit seinem Vornamen, seine Herkunft gibt er mit „Corleone“ an, dem Namen seiner Heimatstadt bei Palermo. Der Beamte der Einwanderungsbehörde macht daraus flugs den Namen „Vito Corleone“.

Wir sind alle Migranten, die Vorstellung, es gebe homogene Völker, die „schon immer hier gelebt haben“, ist eine Fiktion des Zeitalters der Nationalstaaten. Doch der Nationalstaat war historisch die Ausnahme, Vermischung und Fluktuation die Regel. Migration ist auch das Thema der Ausgabe von „Scobel fragt“ am Dienstag im Hans Otto Theater. Zu Gast bei Gert Scobel sind die Tagesspiegel-Kolumnistin Hatice Akyün und der Migrationsforscher Jochen Oltmer.

Das Gespräch mit Akyün und Oltmer ist die erst dritte Ausgabe der Reihe „Scobel fragt“, die im vergangenen Herbst startete. Der studierte Philosoph und katholische Theologe Scobel hat Potsdam nach eigenen Worten deshalb als Ort gewählt, weil hier „alter Westen auf neuen Osten“ treffe, der gesellschaftliche Transformationsprozess, in dem wir uns befinden, sich hier beispielhaft abbilde. Etwa 3000 Geflüchtete gibt es laut Ausländerzentralregister in Potsdam.

Migration als demografischer Normalfall

Jochen Oltmer, der als außerplanmäßiger Professor am Historischen Seminar der Universität Osnabrück lehrt, publizierte zuletzt im Konrad Theiss Verlag das Buch „Migration. Geschichte und Zukunft der Gegenwart“. Wie der Titel nahelegt, sieht er Migration als demografischen Normalfall: der ethnische Status quo ist je aus Migration hervorgegangen und geht in der nächsten Migrationsbewegung auf. Oltmer plädiert zudem für eine soziologische Ausweitung des Migrationsbegriffs. Denken wir bei „Migration“ immer noch an das Gastarbeiter-Klischee, so zeigt Oltmer, dass auch gutverdienende Manager („Expatriates“), die gestern in Indien, heute in den USA und morgen in China arbeiten, Migranten sind, ebenso Handwerker auf der Walz oder Studenten im Austauschjahr. Migration ist schichtenübergreifend. Nie wurde das vielleicht deutlicher als in der Flüchtlingskrise 2015, als syrische Krankenpfleger und syrische Chefärztinnen mit dem gleichen Strom nach Europa kamen. Auch die öffentliche Debatte über Migration ist nichts Neues. Es gab sie bereits im 19. Jahrhundert, als nach der Bauernbefreiung die Landbevölkerung in Scharen in die Industriestandorte, ins Kohlerevier, nach Schlesien oder Berlin strebte und eine neue Vielfalt in die lokalen Strukturen brachte, die viele erstmal verunsicherte.

Ein interessanter Aspekt bei Oltmer ist die sogenannte Kettenmigration. Dabei wirken einzelne Migranten als Pioniere und ziehen Nachahmer aus ihrer Heimatregion hinterher. So kämen etwa Dreiviertel aller Italiener in Irland aus dem italienischen Provinznest Casalattico. Dieses Phänomen lässt sich auch an der griechischen Diaspora in den USA und Australien beobachten, aber ebenso an der syrischen Fluchtbewegung seit 2015: hier konzentrieren sich Syrer aus Latakia, dort welche aus Aleppo.

Migration und Identität

Hatice Akyün ist seit über einem Jahrzehnt eine feste Größe in der Medienwelt. Die Tochter türkischer Gastarbeiter kam 1972 mit drei Jahren nach Deutschland, wuchs in Duisburg auf, ging um die Jahrtausendwende nach Berlin und ist seitdem journalistisch tätig. Von 2011 bis 2014 und wieder seit 2019 schreibt sie eine Kolumne im „Tagesspiegel“. Ihre Bücher kreisen um die Themen Migration und Identität, früh schaltete sie sich in die Integrationsdebatte ein, bekennt sich zu ihrem muslimischen Glauben.

Gleichwohl möchte Akyün nicht auf ihre Herkunft festgelegt werden, betont immer wieder mit Emphase, dass sie sich als Deutsche fühle – und verkörpert so exemplarisch das Dilemma, in dem sich Migranten der ersten und zweiten Generation überall auf der Welt befinden. Selbst in den kosmopolitischen USA, so hieß es kürzlich in einer Studie, fühlen sich Nachkommen bestimmter Einwanderergruppen noch nach Generationen nicht voll zugehörig.

Die „Peuplierung“ in Potsdam

Dass Scobel in Potsdam über Migration diskutiert, passt zum Genius des Ortes: die alte preußische Residenzstadt verdankt ihren Aufstieg nach dem Dreißigjährigen Krieg zum großen Teil der „Peuplierung“ mit Immigranten, insbesondere Glaubensflüchtlingen aus Frankreich und Österreich. Vom Einfluss niederländischer Lutherane zeugt noch heute das Holländische Viertel. Mit Friedrich dem Großen schließlich residierte ein wahrhafter Kosmopolit in Sanssouci, der mit dem aufkommenden deutschen Nationalmythos zeitlebens nichts anfangen konnte.

Migration, so viel ist sicher, wird die Menschen auch weiterhin beschäftigen. Sie ist untrennbar mit der Frage nach der eigenen Identität verbunden. Der Abend mit Hatice Akyün und Jochen Oltmer verspricht spannend zu werden.

„Scobel fragt“ im Hans Otto Theater beginnt am Dienstag (19. März) um 19 Uhr. Die Karten kosten 13,20 Euro, ermäßigt 9,35 Euro.

Konstantin Sakkas

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