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"Scobel fragt" im Hans Otto Theater

© ZDF / Jana Kay

"Scobel fragt" am Potsdamer Hans Otto Theater: Die Nazis auf der anderen Seite des antifaschistischen Schutzwalls

Der Fernsehmoderator Gert Scobel diskutierte am Potsdamer Hans Otto Theater mit Marianne Birthler und Eugen Ruge über Ost und West.

125 Zuschauer. Ausverkauftes Haus. Denn: Die Bühne für Gert Scobel, Marianne Birthler und Eugen Ruge, die das Hans Otto Theater bereitstellt, befindet sich hinter der eigentlichen Bühne: in dem Bereich, der vom großen Saal aus nicht zu sehen ist – im Herzen des Theaters, im Innenleben und pulsierenden Zentrum. Das Publikum an diesem Abend setzt sich vor allem aus jenen Jahrgängen zusammen, die gemeinhin „Abo-Kunden“ genannt werden und die – wie passend – vieles von dem, worüber zu sprechen sein wird, selbst miterlebt haben. Was das Sprechen darüber nicht zwingend vereinfacht.

Wie Geschichte die Zukunft prägt

Aber der Reihe nach. Darum, wie Geschichte die Zukunft prägen kann, sollte es gehen, und das meint im Osten Deutschlands auch immer, dass es um die DDR geht. Und darum, wie und ob deren Erbe am Erstarken neurechter Kreise beteiligt ist. Mit Marianne Birthler, die elf Jahre lang die Stasi-Unterlagen-Behörde leitete, und Eugen Ruge, der in der Sowjetunion geboren wurde, als Kleinkind nach Potsdam kam und ein Jahr vor dem Mauerfall in den Westen floh, sitzen Personen auf der Bühne, die zu diesem und anderen Themen vermeintlich kompetent sprechen können.

Und tatsächlich bietet Birthler ernstzunehmende Erklärungen für das Erstarken neurechter Positionen, das zwar ein gesamtdeutsches, auch ein europäisches und sogar ein weltweites Phänomen ist, aber innerhalb Deutschlands – Umfragen belegen das – im Hoheitsgebiet der ehemaligen DDR signifikant mehr Menschen betrifft als im Westen der Republik. 

Ein Großteil der Intellektuellen ging in den Westen

Neben den bekannten und oft herbeizitierten Gründen – der mangelnden Erfahrung mit Demokratie und den ideellen wie auch wirtschaftlichen Verunsicherungen der (Nach-)Wendezeit – verweist Birthler zudem darauf, dass vor und erst recht nach dem Mauerfall ein Großteil der intellektuellen Kapazitäten in den Westen abwanderte. Und sie spricht auch darüber, dass der Umgang mit dem Nazi-Erbe ein problematischer war. „Viele der Nazigrößen flohen ja gerade aus dem Osten in den Westen und deckten sich dort mit Posten ein“, wirft Ruge ein, dessen Kritik sich immer wieder auf Phänomene der Globalisierung und des Kapitalismus bezieht und der einen nicht näher definierten „Systemwechsel“ für angebracht hält, der aber immerhin noch im Rahmen der demokratischen Grundordnung zu vollziehen sei. 

Birthler hält ihm entgegen, dass dies in Bezug auf Nazigrößen wohl stimme, aber eine Entnazifizierung auf familiärer und persönlicher Ebene habe nicht stattgefunden, ja nicht stattfinden können, denn „die Nazis, das waren ja die auf der anderen Seite des ‚antifaschistischen Schutzwalls’.“ Wo im Westen gegen die Eltern und Großeltern offen protestiert werden konnte, gab es diese Art der geschichtlichen Aufarbeitung im Osten nicht.

Abgleich mit den eigenen Biografien 

Ruge und Birthler sind für diese Veranstaltung bestens besetzt, da ihre Positionen Anlass zum Streit, zur kritischen Auseinandersetzung geben. Und genau darum, um das ganz Zentrale, soll es ja an dem Abend gehen. Das scheint dem Auftakt der Reihe „Scobel fragt“ gelungen zu sein: Immer wieder geht ein Raunen durch das Publikum. Anhand der eigenen Biografien und im Gespräch mit dem Sitznachbarn wird überprüft, ob das wirklich so war, oder ganz anders. Zustimmung und Ablehnung wechseln sich auf den Gesichtern der Zuschauer ab. Das Innere ist eben sensibel.

„Scobel fragt“ gibt es wieder am 22. Januar 2019, 19 Uhr zum Thema „Kann ich gut leben im Falschen?“: Ein Gespräch mit der SPD-Politikerin Gesine Schwan und dem Schriftsteller Ingo Schulze

Christoph H. Winter

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