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Die fürnehmste Hauptfarbe. Die neue Sonderausstellung im Potsdam Museum entführt in die sonst oft in Privatsammlungen versteckte Welt der Glaskunst. Unter anderem klärt sie darüber auf, dass Johann Kunckel, der berühmte Neuerfinder des Goldrubinglases, das blaue dem roten Glas eigentlich vorzog.

© Manfred THomas

Kultur: Schule des Sehens

Das Potsdam Museum erinnert mit „Gläserne Welten“ an die vergessene Blütezeit der Potsdamer Glasproduktion und erzählt von den Fantasien der Monarchen. Nur Ruhe mitbringen muss man

Manchmal muss man tief, ganz tief ins Glas schauen, um den Kern der Dinge zu erkennen. Die aktuelle Sonderausstellung im Potsdam Museum „Gläserne Welten“ illustriert diesen Gemeinplatz auf eigene, erhellende Art und Weise – und verleiht dem Ganzen eine neue Bedeutung.

Paradebeispiel ist ein Becher von 1690, dem Potsdamer Glasmacher Martin Winter zugeschrieben. Außen sind leicht bekleidete Kinderbacchanten in die Oberfläche graviert. Pummelige nackte Leiber, die unbedarft springen, mit Weinreben bilden sie einen Reigen um den Bauch des Glases. Innen, auf dem Glasboden, zeigt Bacchus dann seine rauschhafte Seite: Ein ebenfalls pummeliges Paar vergnügt sich beim Liebesspiel. Sie sitzt, er kniet, beide auf einer Wiese. Je schneller das Glas leer ist, desto schneller tritt der Liebesrausch auf den Plan.

„Gläserne Welten“, kuratiert von Uta Kaiser, die sich von der externen Glas-Expertin Verena Wasmuth beraten ließ, widmet sich einem vernachlässigten Kapitel der Potsdamer Geschichte und der einzigen vierdimensionalen Kunst überhaupt: der Glaskunst. Dass diese in Potsdam etwa 60 kurze Jahre lang einen unglaublichen Boom erlebte und Werke hervorbrachte, die sich vor böhmischer oder italienischer Glaskunst nicht zu verstecken brauchten, wissen heute die wenigsten. Von dem Alchemisten Johann Kunckel, der zur Zeit des Großen Kurfürsten die Pfaueninsel zu seinem Labor machte und das Goldrubinglas neu erfand, werden manche gehört haben – aber wer kennt heute noch Gottfried Spiller oder Martin Winter? Damals, von 1674 bis 1736, sorgten sie dafür, dass in Potsdam Glas von Weltrang hergestellt wurde. Daran zu erinnern ist das Ziel der Schau – der ersten überhaupt, die sich in Potsdam ausführlich der Glaskunst widmet, wie Museumsdirektorin Jutta Götzmann betont.

Was vielleicht auch daran liegen mag, dass diese Kunstform nach Dingen verlangt, die heute selten geworden sind: Ruhe. Zeit. Die Lust, sich auf kleinste Details einzulassen. „Eine Schule des Sehens“ nennt Jutta Götzmann die Ausstellung, und da ist etwas dran. Nichts an den „Gläsernen Welten“ springt sofort ins Auge, nichts drängt sich auf. An dieses Prinzip hält sich auch die Präsentation der knapp 100 Exponate. Die Wände der Schau sind in dunklem Anthrazit gehalten, man betritt die Räume ein wenig wie eine Höhle – die Beleuchtung muss wegen der hoch empfindlichen und ungemein wertvollen Exponate gedimmt sein. Manche der Gläser haben einen Versicherungswert von 100 000 Euro. Was hier gezeigt wird, war zwar durchaus zur Repräsentation gedacht – Gläser spielten eine wichtige Rolle bei höfischen Zeremonien –, aber immer nur für einen ausgewählten Kreis. Für die Herrschaftlichen, denen das Glas vorbehalten war.

Aus diesem Wissen, aus der Idee, dass man hier bewundern kann, was sonst verborgen blieb, bezieht die Schau ihren Reiz. Verborgen sind viele der Gläser im Übrigen auch heute noch: Viele stammen aus privaten Sammlungen. Glassammler gelten als verschworene Gemeinschaft, die nicht gern ihre Schätze hergeben – zu wertvoll, zu zerbrechlich. Umso wertvoller, dass so viel in Potsdam produziertes Glas jetzt den Weg von Leihgebern aus ganz Deutschland zurück nach Potsdam gefunden hat. Besonders stolz sind die Macherinnen darauf, dass nicht nur Kunckels Goldrubinglas zu sehen ist – sondern, so noch nie dagewesen, auch 6 Exponate von Kunckels kobaltblauen Glas. Nur etwa zehn Originale sind erhalten. Und man erfährt: nicht rot, sondern blau und grün hielt der Alchemist für „die zwey fürnehmsten Hauptfarben“.

Was sind das für Geschichten, die die Gläser, Becher, Pokale und Vasen erzählen? Manche erzählen, wie die Kinderbacchanten und das Liebespaar im Grünen, von den Heile-Welt-Fantasien der Hersteller. Von arkadischen Ideallandschaften, rauschhafter Liebe – gerne in Gestalt mythischer Figuren. Immer wieder Bacchus-Variationen, dazu Reben, Blumen, Fruchtgebinde. Träume der anderen Art – Herrschaftsfantasien – finden sich auf den Gefäßen im Abschnitt „Wappen und Herrscherbildnisse“: Friedrich III., Friedrich II., Königin Sophie Dorothea, die eine leidenschaftliche Glassammlerin war, Friedrich Wilhelm I. – alle haben sie sich auf den Gläsern verewigen und mit ihnen feiern lassen.

Auch das Militär darf im Reigen der preußischen Herrschaftsfantasien natürlich nicht fehlen. Pferde, Säbel, Grenadiere und, was angesichts des zerbrechlichen Materials aus heutiger Sicht ironisch wirkt, sogar Kanonen und Sprenggranaten zieren die Gläser. Friedrich Wilhelm I. ließ sich wenig bescheiden zusammen mit dem Kriegsgott Mars in voller Kriegsrüstung eingravieren. Der Soldatenkönig war auch der, der Bier bei Hofe einführte – dickwandige Becher mit soldatischen Motiven zeigen, woraus die höhergestellten Offiziere es tranken. Mit eingravierten Sprüchen wie „Es leven des Königs von Preussen Grenadiere“ sollten die Soldaten beim Bier auf König und Vaterland eingeschworen werden.

Friedrich Wilhelm fällt eine ambivalente Rolle in der Geschichte der Glaskunst zu: Er liebte die Soldaten, das Bier und die Jagd – das Glas offenbar nicht ganz so innig. Weil die Glasproduktion eine teure Angelegenheit war und für die Herstellung viel Holz benötigt wurde, verlegte er die Glashütte 1736 nach Zechlin. So war sein Jagdgebiet nicht mehr von Abholzung bedroht – dafür fand aber auch die kurze Blüte der Glaskunst made in Potsdam ein jähes Ende. Welch Ironie: Auch die für Potsdamer Glaskunst vernichtende Liebe des Königs zur Jagd zeigt die Schau. Auf Glas natürlich.

„Gläserne Welten. Potsdamer Glasmacher schneiden Geschichte“, 27. August bis 19. November im Potsdam Museum. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog

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