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Kultur: Schöpfung mit Industriestempel

In der Ausstellung „memory line“ fragen Barbara Schnabel und El Doelle nach Mechanismen des Erinnerns und Bewahrens

Wie geht Erinnern? Wie funktioniert Gedächtnis? Und was unterscheidet, möglicherweise, das subjektive Gedächtnis von einem Speicher? Die Objekte der Ausstellung „memory line“ – Fotos, Videos, Installationen – durchziehen wie kleine Triggerpunkte zum Thema Memory die Räume. Das englische „Line“ lässt sich mit Linie, Leitung, aber auch Grenze übersetzen – und die Geschichte des Bewahrens, damals, jetzt und künftig, hat von jedem etwas. Die Ausstellung in der Produzentengalerie M des Brandenburgischen Verbandes Bildender Künstler will diese Spielarten dokumentieren. Das Festhalten, das Abrufen. Den möglichen Verlust.

Exemplarisch nutzen die Fotografin Barbara Schnabel und der Bildhauer Lutz Dölle, Künstlername El Doelle, dabei verschiedene griffige Themen. Eines hat mit der Ornithologie zu tun. „Remember me“ heißt ein Projekt, bei dem die beiden Berliner mit der historischen ornithologischen Sammlung in Schloss Köthen arbeiteten. Sie waren fasziniert von den kunstvollen Zeichnungen und Präparaten, die etwa 200 Jahre alt waren. In der Potsdamer Ausstellung ist nun eine Art Ahnengalerie ausgestorbener oder bedrohter Vogelarten zu sehen. Schnabel hat die Tiere des Museums so porträtiert, dass sie seltsam lebendig wirken. Zurückgeholt. Und das Gehirn des Betrachters bemerkt den Trick erst, wenn man schon längst emotional angedockt hat. Für Dölle sind Vögel besonders zauberhafte, aber auch verletzbare Wesen. Das wird in den Makro-Fotografie-Aufnahmen, bei denen Schnabel das Gefieder wie eine hochfeine, textile Tapete präsentiert, deutlich. In einem anderen Raum leuchten die klangvollen Namen ausgestorbener Tiere. Und eine menschliche Hand, in der ein verletzliches Ei liegt, wirkt schützend, bis man erkennt, dass das Ei mit einem Industriestempel versehen ist. Hier gibt es nichts mehr zu schützen. Nur noch Erinnerung. Wie das Lachen oder schräge Schreien der Möwen, das in der Videoschleife der venezianischen Toteninsel zu hören ist. Lebendigkeit und Vergänglichkeit stehen nebeneinander. An anderer Stelle noch ein Friedhof-Video. Sechs Minuten, in denen an einer Stelle Dölle durchs Bild läuft.

Schöpfung, Leben und Tod, Erinnerung: Es scheint eine Linie zu sein, die beliebige Haken schlägt. Oder schlagen wird. An anderer Stelle des Raumes sieht man einen Vogel, der aus einem 3D-Drucker schlüpfte. Der Besucher sieht diesen Waldkauz aber nur durch ein Loch in der Wand – eine Piepshow. Dazu gehört ein QR-Code für digitales Bewahren, kühl und clean.

Einen anderen Code hat Dölle selbst produziert: 15 Bilder, deren nahezu quadratischen Bildausschnitt Dölle mit vertikale Linien, Seite an Seite und mit freier Hand gemalt, gefüllt hat. „Jeden Vormittag ein Bild“, sagt Dölle. Es war in Portugal, wo er gern arbeitet, und eines Tages habe er damit begonnen. Einfach so. Die Entdeckung von Routine, von Wiederholung, Reihung und Rhythmus habe ihn erst mal nicht losgelassen: Diese simple Linie, mit der alle Kunst beginnt, als Abstraktion und Reduktion, wie eine Zeichenmaschine. Es sei auch spannend gewesen, eine Art Selbstbeobachtung. „Ich war neugierig – ich ziehe den Strich und weiß nicht, wo er hingeht“, sagt Dölle.

Nun hängen 15 Strich-Bilder, die in ihrer Gesamtheit eine überraschend angenehme Ästhetik vermitteln, und dennoch wie ein Code für Disziplin, Wiederholung und Festhalten wirken. Von der Flüchtigkeit des Festhaltens erzählen Fotos, aufgenommen von Barbara Schnabel auf einem Friedhof in Lissabon. Sie hat bei den Grabmalen Details fotografiert, die auf den ersten Blick wie Bilder aus der bewohnten Welt wirken. Spitzengardinen, Tischdecken, Vasen, Heiligenbildchen. Der Verlust hat einen festen Platz in der Zeitschleife. Zum Greifen nah.Steffi Pyanoe

Bis 14. Januar, Charlottenstraße 122

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