zum Hauptinhalt

Kultur: Schönheit fürs Gehör

Konzert von I Confidenti in der Kirche Bornstedt

Auf Stelzen stakst ein großer Kerl in die Dorfkirche Bornstedt. Er wirkt heruntergekommen, verfügt aber über eine veritable Stentorstimme. Lompin heißt er, genannt Simplex, ein armer Schuster, möchte vom Leben und Sterben zur Zeit von Martin Luther erzählen. Sein Name erinnert nicht zufällig an den Roman „Ein Kerl, genannt Lompin“, das letzte Buch, das Waldtraut Lewin in der DDR veröffentlichte. Sie schrieb auch das Libretto zu dem Stück Dolcissima Speranza, das am Samstag vom Ensemble I Confidenti in Bornstedt aufgeführt würde.

Wie immer bei diesem Ensemble, das von Waldtraut Lewin vor 15 Jahren mitbegründet wurde, spielt die Musik eine Rolle. Diesmal steht sie sogar im Mittelpunkt, denn es geht bei diesem „Mysterienspiel“ um nichts weniger als die „Hoffnungskraft der Musik“. Das Ensemble bietet ein Füllhorn von dramatisch zugespitzten Miniaturszenen, lebendig-knappen Dialogen und erlesener Musik und Gesang auf. „Mitten im Leben sind wir vom Tode umfangen“ heißt es zu Beginn mit düsterer Wucht. Besonders seit Luthers Abendmahlslied gehört dieser alte Satz zum Kernrepertoire des Christentums.

Welch tiefe Wahrheit darin steckt, zeigte sich bei der Produktion auf geradezu unheimliche Weise. Noch während der Arbeit an Dolcissima Speranza starb Waldtraut Lewin im Mai dieses Jahres, so dass ihr Sohn Niklas Lewin die weisen Verse der großen Schriftstellerin vollendete. Auf die wuchtigen Lutherlieder folgen dramaturgisch reibungslose Zeit- und Ortsprünge. Musikalischer Protagonist ist jetzt Heinrich Schütz, Hofkapellmeister in Dresden und Urvater der evangelischen Kirchenmusik.

Der dreißigjährige Krieg blieb nicht ohne Auswirkung auf sein Schaffen, das dennoch oder gerade deshalb stets so viel Hoffnung verkündete. Mehr noch, als Schüler des genialen Claudio Monteverdi in Venedig lernte Schütz viel über die menschenfreundliche Renaissancemusik, die ja immer wieder um die Liebe kreist. Schönste Verkörperungen dieses philosophischen Konzepts, man denke etwa an Dantes Vita Nuova, sind Liebeslieder wie Chiome d’Oro von Monteverdi und Schütz oder auch die Kanzonetten von Tarquinio Merula und Luzzasco Luzzaschi, die von den Sopranistinnen Margot Genet und Georgia Tryfona mit verführerisch funkelnden Stimmen interpretiert werden.

Konkret wird das auch in Monteverdis betörendem Madrigal Volgendo il ciel, das Volker Nietzke, Tenor, schmiegsam-leuchtend und heroisch zum Klingen bringt. Johanne Braun, Alt, und Ludwig Obst, Bass, ergänzen das formidable Sängerensemble. Unter der musikalischen Leitung von Daniel Trumbull, Cembalo und Orgel, spielt das Quartett aus zwei Barockgeigen (Kerstin Linder, Julia Prigge), Cello (Jule Hinrichsen) und Harfe (Luise Enzian), abwechslungsreich und klangreizvoll. Die stilisierten, phantasievollen Kostüme und Masken in Rot und Schwarz von Christine Jaschinsky setzen sinnliche Kontrapunkte zum allegorischen Spiel um Leben und Tod, das Jürgen Hinz punktgenau zwischen Ernst und einer Prise Komik inszeniert hat. Auf der Suche nach einer besseren Welt siegt die Liebe zum Leben, zum Frieden. Und wer könnte diese Idee besser verkörpern als die Musik, zumal, wenn sie so exzellent wie hier erklingt? Bei so viel „Schönheit auf die Ohren“ gerät selbst Lompin ganz außer sich und will nur noch der Dolcissima Speranza dienen. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false