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Kultur: Schön feucht

Tini Anlauff las im Kunstgriff 23

Erst einmal schält sie sich aus ihrem wollenen Rollkragenpullover. Dann legt sie kurz und bündig mit „wer quatscht, fliegt raus“ die Regeln für den Abend fest, um schließlich vier große Umschläge ins Publikum zu halten. Die Potsdamer Autorin Tini Anlauff wollte es dem Zufall und den Zuhörern überlassen, was sie am Montagabend im Lesesalon von Heike Isenmann zum Besten geben wird. Doch nicht ganz, denn letztlich wird sie drei von ihren mitgebrachten, bisher noch unveröffentlichten Kurzgeschichten zu Gehör bringen.

Das diesjährige Kulturlandthema „Wasser“ bestimmte die Auswahl. Doch in „Die Selbstmordmaschine“ muss man fast bis zum Schluss warten, ehe das feuchte Element ins Spiel kommt. Bis dahin nimmt einen die Autorin mit in die ziemlich spannungsgeladene Atmosphäre einer Familienweihnachtsfeier, auf der das über 90-jährige Oberhaupt beschließt, seine nächsten Anverwandten mit den Umständen seines bevorstehenden Ablebens vertraut zu machen. In einem „blauen Heft“ hat sich der Tüfftler dazu Notizen gemacht und eine Apparatur entworfen, die unter Zuhilfenahme von Tabletten, einer gefüllten Badewanne und eines riesigen Steines, sein Lebenslicht zuverlässig ausblasen soll. Bevor er im Altersheim einem unwürdigem Siechtum verfällt.

Und obwohl das Thema ernst und allgegenwärtig ist, hatte man in Tini Anlauffs genau beobachteter Alltagsgeschichte ständig etwas zu lachen. Das lag nicht nur an der pointierten Figurenzeichnung und der herrlichen Situationskomik, sondern vor allem am lakonischen Ausdruck. Mitten in sintflutartige Niederschläge hinein wurde der Zuhörer in die tagebuchartigen Sequenzen „Die Erde wird nass“ versetzt. Tief „Marianne“ zwingt den Schreiber zur überstürzten Flucht auf einen Viermaster namens „Störtebecker“, der ausschließlich Meteorologenfamilien und tierisches Lebendfutter beherbergt und erst nach über 40 Tagen wieder Land erreicht. Auch diese Weltuntergangsszenerie war mit viel Humor – im Lateinischen steht das auch für Feuchtigkeit – gewürzt. Neben Mutterwitz eine der Hauptingredienzien der flott erzählten, oft ins Skurrile kippenden Begebenheiten, an denen die 36-jährige Autorin, die 2005 ihren ersten Roman veröffentlichte und sich der Poetry-Slam-Szene eng verbunden fühlt, gerade arbeitet.

Auch Geschichten über ihren Kiez in Potsdam-West, in dem sie seit mehr als acht Jahren zu Hause ist, würde sie gerne veröffentlichen. Momentan versucht sie, Begebenheiten aus diesem „bunten“ Viertel in einer spannenden Kriminalhandlung zu „verpacken“. Dass die Mutter von vier Kindern im Alter von 3 bis 13 fest im Hier und Heute verwurzelt ist, spürten die zwei Dutzend Zuhörer im kaum wohnzimmergroßen Atelier „Kunstgriff 23“ dann auch in ihrer Potsdamgeschichte „Die Brücke“. Sie hat die neue Parkordnung und ihre tiefergreifenden Auswirkungen auf liebgewordene Gewohnheiten zum Thema.

Viel Beifall nach einer fast zweistündigen unterhaltsamen Lesung und die Aussicht, Tini Anlauff am gleichen Ort wieder am 13. August lesen zu hören. Für Kinder ab 6 wird sie in den Sommerferien einen Schreibworkshop zum Thema „Von Badenixen und Seeungeheuern“ anleiten und im kommenden Jahr wird für die gleiche Zielgruppe die Uraufführung ihres Kinderstücks „Isbart, das Elchhörnchen“ am Hans Otto Theater zu erleben sein.Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-Tröger

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