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Kultur: Schnelldurchlauf

Mad Mix mit „Hamlet“ im freiLand

Man fühlt sich unweigerlich an die Anfangsjahre in der Schiffbauergasse erinnert, wenn man das Gelände in der Friedrich-Engels-Straße 22 betritt. Auch hier ehemalige Industriearchitektur, die von jungen Menschen seit Mai dieses Jahres in Besitz genommen wird: Riesige Graffitis zieren graue Wände, überall stehen Türen offen und dahinter spürt man förmlich die kraftvollen Energien des Neubeginnens, inklusive des Charmes von Ausprobieren und Improvisieren.

Am vergangenen Wochenende brachte dort im frisch eröffneten Theatersaal die seit 2004 bestehende Jugendtheatergruppe Mad Mix des Offenen Kunstvereins ihre in diesem Jahr entstandene Hamlet-Inszenierung zur Premiere und schlug so einen räumlichen Bogen von ihren Parzival-„Rittern in der Russenhalle“ zur Tragödie des jungen Prinzen von Dänemark.

Doch bevor es losging, drängten sich die überwiegend jugendlichen Besucher, vorbei an einer haushohen goldenen Buddhafigur, ins schmale Entree der Spartacushalle und mussten eine geraume Weile Geduld aufbringen, ehe die Premieren-Veranstaltung begann. Regisseurin Ulrike Schlue ermöglichte es auch den letzten Gästen, im vollbesetzten Theatersaal noch einen Platz auf den ansteigenden schmalen hölzernen Bänken oder einem der eilends herbeigebrachten Sitzsäcke auf dem Boden zu finden.

„Wann geht’s los?“, fragte ein kleines Mädchen, das ganz vorne saß, ungeduldig und als es dann passierte, kriegte sie einen Riesenschreck wegen der Unheimlichkeit der nächtlichen Situation, der lautstark-dräuenden, aber oft unverständlichen Stimme des Geistes von Hamlets Vater und den wallenden Nebeln, die sich kurz darauf über sie ergossen. Sie ließ sich nicht beruhigen und musste mit ihrem Vater den schwarz ausgehängten Saal verlassen. Die anderen Besucher ließen sich hingegen knapp fünfundsiebzig Minuten lang bereitwillig in die düster-komische Welt das Shakespeare-Stücks entführen, das hier in einer sehr verknappten Form dargeboten wurde. Die Fassung, die von der über 20 Mitglieder zählenden Jugendtheatergruppe selbst erarbeitet wurde, kam sehr schnell und oftmals lakonisch zum Wesentlichen und ersparte dem (un-)kundigen Zuschauer viele Details.

Das war einerseits ein Gewinn, verhinderte an manchen Stellen aber auch die Entwicklung von wirklichen Spielsituationen (Regie: Ulrike Schlue und Nikki Bernstein). Der baumlange König (Johannes Pautzke) und die ganz in gelbes Plissee gekleidete Königin (Nathalie Fribourg) blieben wie auch Polonius (Hagen Hummel) als Figuren ziemlich blass, während Hamlet (Victor Hank) überaus straight angelegt war und sich ebenso schnell in den „Wahnsinn“ wie auch an die Ausführung, den Brudermord an seinem Vater zu rächen, begab. Verzweiflung, Zittern und Zagen: Fehlanzeige.

Auch die Liebesbeziehung zu Ophelia wird im Schnelldurchlauf gekappt, und der anmutigen Verlassenen (Hannah Schwarz-Wissel) wird in dieser Inszenierung – gute Idee – eine zweite Person zur Seite gestellt. Mia Knop-Jacobsen in ihrem weißem plissierten Hemdchen erscheint wie das Innere der an zerbrochenem Herzen zugrunde Gehenden. Beide Figuren tanzen einen schmerzlich-schönen Reigen, die Zweite versucht, die Erste zu stützen, bis sie selbst zerbricht. Effektvoll und traurig beider Untergang.

Voller Effekte auch die Live-Percussion und die elektronisch produzierten Geräusche von Cikomo Paul, die das Geschehen wirkungsvoll vorantreiben, sowie die opulenten und in der vollkommen schwarzen Kulisse besonders schön anzusehenden Kostüme, die von vier jungen Frauen des Ensembles – Hannah Schwarz-Wissel, Friederike Mühle, Tabea Germo und Marion Casejuane – die selbst auch mitspielen, erdacht und hergestellt wurden.

Noch etwas anderes ist an dieser Produktion bemerkenswert: Sieben europäische Freiwillige aus Italien, Spanien, Frankreich, Polen, Bulgarien und Russland machen mit bei dieser kurzweiligen Inszenierung, die aber oft wie eine Nummernfolge mit knalligen Höhepunkten, wie der Schauspieleraufführung und Totengräberszene, daherkommt. Als Stimmen des Geistes des Vaters, als bunte Schauspieltruppe „Los Fabulosos“ und als norwegische Armee haben die Gäste leider keine Einzelauftritte, bringen aber wenigstens bei der lautstarken Schauspieltruppe ziemlich viele (Sprach-)Färbungen ins Spiel.

Eine Figur blieb allerdings besonders haften. Tanja Wehling, die Osric, den Diener des Polonius, spielt, hatte bis zum Schluss viele clowneske Spielmomente und auch den letzten berühmten Satz, den in der Originalfassung der sterbende Hamlet spricht. Danach gab es kein langes Schweigen im Saal, sondern am Freitagabend den begeisterten Applaus des Premierenpublikums.

Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-Tröger

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