zum Hauptinhalt

Schiffbauergasse: Endstation Sehnsucht

Alle wünschen sich einen lebendigen Kulturstandort wie zur „Langen Nacht“. Doch nach der frischen Brise ist jetzt Sommerflaute in der Schiffbauergasse.

Er wurde denkmalgerecht wiederhergestellt und ist das Vorzeige-Erlebnisquartier der Stadt. Doch immer wieder wird behauptet, der Kulturstandort Schiffbauergasse sei totsaniert. In unserer Sommerreihe „Schiffbauergasse“ schauen wir auf den jetzigen Zustand und fragen, was könnte und was müsste sich verändern, um mehr Leben in das Areal am Tiefen See zu bringen. Heute betrachten wir die Sommerflaute.

Stille. Stille, die nicht unerwartet kommt. Und die doch befremdet. Denn diese Stille legt sich über die Schiffbauergasse: über den am Tiefen See gelegenen Kulturstandort der Stadt, der sich über 12 Hektar erstreckt. So groß wie 24 Fußballfelder. Er wirkt in diesen Sommertagen wie die Endstation Sehnsucht. Vertrocknete Studentenblumen in den ohnehin raren Pflanzkübeln sind wie ein Zeichen. Nichts wird bewässert, um Kultur das ganze Jahr über fließen zu lassen. Es herrscht Flaute nach dem großen Aufbäumen zur „Stadt für eine Nacht“, die auch in ihrem dritten Jahr Anfang Juli für 24 Stunden Tausende Besucher anlockte und zeigte, dass auf diesem für 100 Millionen Euro sanierten Areal am Wasser tatsächlich miteinander gespielt und der Traum nach Lebendigkeit wahr werden kann. Lichtdurchlässige Häuschen, gefüllt mit ideenreichen Kultursplittern und Wissenschaft, zogen die Gäste hinein. Zwischen den futuristisch anmutenden Bauten wurden Bilder gemalt, Möbel zusammengezimmert, über die Wiese getanzt, Feuer in die Höhe geschickt. Selbst die riesige Freilichtbühne vor dem Waschhaus, die sonst mit ihrer Größe geradezu den Blick erschlägt und für eine regelmäßige Bespielung zu teuer ist, erwies sich bei dieser langen Nacht als lebendige Mitte mit dem Charme einer Musiklounge.

Doch nun ist da diese Stille mit dem Atem einer Steinwüste. Fast alle Kulturanbieter haben sich in den Urlaub verabschiedet. Das Hans Otto Theater (HOT) und das T-Werk sind geschlossen, die „fabrik“ bietet ab und an Tanz mit DJ Rengo oder öffnet mal ein Studio, um ausländische Tänzer in Residence vorzustellen. Das Museum „fluxus+“ ist zwar geöffnet und wirbt mit seinen Veranstaltungen zu 60 Jahre Fluxus-Bewegung, aber es sind eher die Insider der Neo-Dada-Kunstströmung, die das unscheinbare Haus besuchen. Das Waschhaus, das 1992 den Reiz des bis vor der Wende unzugänglichen Geländes, an dem einst Dampfschiffe gebaut und Ersatzkaffee produziert wurde, wo Husaren gedrillt und Fische gezüchtet wurden, mit als erstes entdeckte, steckt seit Abschluss der Sanierung vor fünf Jahren in einer tiefen Krise. Nach finanziellen Unregelmäßigkeiten und der Insolvenz kamen mit dem nun zum Frühherbst auslaufenden Vertrag des Geschäftsführers Wilfried Peinke neue Probleme und programmatische Verwerfungen. Inzwischen sucht ein Teil der einstigen Waschhaus-Gänger nach Alternativen. Es zieht sie eher zum Wilden, noch Unfertigen des ebenfalls von der Stadt finanzierten Jugendprojekts „Freiland“ an der Friedrich-Engels-Straße, als in das herausgeputzte Waschhaus, das gerade seinen 20. Geburtstag feierte. Oder sie fahren nach Berlin.

Immer wieder wird die Schiffbauergasse als seelenlos, als totsaniert bezeichnet, was für den Außenbereich, der nicht am Wasser liegt, auch zutrifft. Nicht nur im Sommer. Doch wenn, wie jetzt, selbst von der Theaterkantine kein Lachen, keine Gesprächsfetzen mehr über das Areal fliegen, wird diese Leere noch fühlbarer. Immerhin bietet das Waschhaus neben der Konzertreihe „Rubys Tuesday“, die sich als eine der wenigen Veranstaltungen im Haus behaupten konnte, Sommerkino an. Und auch das scheint nicht selbstverständlich. Zehn Freilicht-Vorstellungen im Juni - wo das Wetter noch besser war - wurden vom Waschhaus einfach abgesagt, weil parallel dazu das Hans Otto Theater den Gasometer bespielte. Das Theater intervenierte, weil es Lärmbelästigungen von der Leinwand nebenan befürchtete. Nach PNN-Informationen lag es an Kommunikationsstörungen zwischen den Häusern, dass nicht vorher miteinander gesprochen und alles abgestimmt wurde.

Die erfrischend von Philippe Besson inszenierte Moliére-Komödie „Schule der Ehemänner“ im Gasometer ist nun aber auch vorbei. Sie fand noch während der HOT-Spielzeit und dazu in kulturschwangeren Tagen statt, wo vor allem die Musikfestspiele Sanssouci das Sagen hatten. Und auch die Fußball-Europameisterschaft band potenzielles Publikum.

Zusätzliche Mittel der Stadt zu akquirieren, um Sommertheater auch in der zweimonatigen Theaterpause zu ermöglichen, sei schwierig, sagt die Kulturamtsleiterin Birgit-Katharine Seemann. Schließlich fließen bereits zehn Millionen Euro von Stadt und Land in die städtische Bühne. 1,5 Millionen Euro wären zusätzlich nötig gewesen, um eine Seebühne unterhalb des 2006 eröffneten Hauses zu errichten und sie zu bespielen. Doch für diese Investition fand sich in der Stadt keine Deckungsquelle. „Es gibt eine Nachfrage nach guten Open-Air-Veranstaltungen, und eine Auslastung von 85 bis 90 Prozent der geplanten 320 Plätze sind durchaus möglich“, argumentierte der Geschäftsführer des Hans Otto Theaters, Volkmar Raback. Aber es blieb beim Nein der Stadt und bei der Open-Air-Bespielung im abgeschotteten Gasometer - ohne den weiten Blick aufs Wasser. Natürlich hätte man auch wie zur Zeit des ehemaligen Intendanten Uwe Eric Laufenberg in der Orangerie in Sanssouci Sommertheater anbieten können. Doch dafür hätte man Transportkosten einplanen müssen, wog Raback ab. Bei der ohnehin schon schwierigen Haushaltslage des Theaters ein zu hoher Kostenfaktor.

Eine Vermietung des HOT an andere Kulturveranstalter zeigt sich wiederum schwierig, nicht nur weil die Überholung der Bühne drei Sommerwochen bindet. Ein Haus mit 480 Plätzen ist auch für Gastanbieter mit Qualität nicht lukrativ. Das zeigte sich bei dem mitreißenden Musical „Friedrich. Mythos und Tragödie“. Gern hätte die Spotlight Musical Produktion GmbH es im Hans Otto Theater aufgeführt. Die Sitzplatzkapazität wurde aber als zu gering eingestuft. „Das hätte sich nicht gerechnet. Dann hätte die Sommerpause des Theaters für uns verlängert werden müssen“, sagte Peter Scholz, einer der beiden Spotlight-Geschäftsführer. Es blieb ihm die riesige Metropolishalle mit 1200 Plätzen in Babelsberg, die sich am Ende aber ebenfalls nicht rechnete.

Auch der Tausendsassa und hochambitionierte Laufenberg, der überall in der Stadt mit Theater unterwegs war, bekam keine Sommerbespielung in der Schiffbauergasse hin, weshalb er mit seinem „Onkel Wanja“ und „Was ihr wollt“ nach Sanssouci zog. Nur die „Gefährlichen Liebschaften“ des Theaters „Marameo“ sowie im letzten Jahr die wunderbar kleine Produktion „Romeo meets Julia“ der Dance Company Oxymoron des Waschhauses waren, soweit es der Regen nicht verhinderte, auf der Seebühne zu sehen. Doch das war nur im kleinen Rahmen möglich, wie es die derzeitigen baulich-begrenzten Bedingungen zulassen. Aber auch Oxymoron macht dieses Jahr Sommerpause.

Die „fabrik“ trumpfte in den vergangenen zwei Jahren mit Open-Air-Aufführungen unter den ausladenden Bäumen neben ihrem Biergarten auf: Es bot zirzensische Kostbarkeiten aus Chile und der Schweiz. Nicht so in diesem Jahr. „Zwei Jahre haben wir unsere Zirkusbespielung, die sich kurzfristig ergab, aus dem laufenden Etat bezahlt. Die Techniker mussten wir zusätzlich einkaufen, denn unsere eigenen müssen auch mal Ferien machen. Und dann fielen wegen Regen auch noch Vorstellungen aus. All das kostet. Sommertheater ist nicht aus dem Nichts zu machen“, sagt die künstlerische Leiterin der „fabrik“, Sabine Chwalisz. „Am Ende sind alle verwundert, dass es nun gar keiner macht!“, betont sie.

Dass der Etat nur für eine Innenbespielung ausreicht und keine Sommerangebote zulasse, das bekräftigt auch T-Werk-Sprecher Jens-Uwe Sprengel. Das eigene internationale Theaterfestival „Unidram“ im Herbst sowie die „Stadt für eine Nacht“ seien für den freien Träger gerade so zu stemmen. „Wir machen 200 Veranstaltungen im Jahr mit 20 000 Besuchern. Mehr ist nicht drin. Wir sind extrem an der Grenze des Möglichen“, betont Sprengel.

Die Stadt verweist wiederum darauf, dass der Etat in den vergangenen sechs Jahren von 540 000 auf 830 000 Euro für die freien Träger Waschhaus, T-Werk und „fabrik“ aufgestockt wurde und man 2011 auch beim Theater nachlegte, als die Besucherzahlen zurückgingen und es Tariferhöhungen gab. „Potsdam ist durchaus sehr stark bei der Förderung im freien Bereich, nicht nur beim Hans Otto Theater“, sagt die Kulturamtsleiterin. Doch das Kulturamt will nicht reglementieren und Druck ausüben, keinen Kultursommer verordnen. Für den nächsten Sommer gibt es inzwischen eigene Ideen – nun seitens der Stadt. Genaueres wollte Birgit-Katharine Seemann aber nicht sagen. Auch dafür ist die Finanzierung noch nicht geklärt.

500 000 Gäste sollten jährlich auf den integrierten Kultur- und Gewerbestandort gezogen werden, bislang sind es rund 150 000 weniger. Woran das liegen könnte, wissen eigentlich alle. Das Gelände ist zu groß und steril geraten. Es fehlt an kleinen gemütlichen Nischen zwischen den großen Reitställen und Arenen, an Grün auf den seelenlosen Plätzen, an Ateliers, Gewerbe und Handwerk, das auch am Tage Kauf- und Schaulustige anzieht. Vielleicht könnte man junge Künstler hierher holen, die Mode und Schmuck made in Brandenburg anbieten, die sich vom Einheits-Angebot der Warenhausketten absetzten, überlegt die Kulturamtsleiterin. Aber auch dafür wäre eine Anschubfinanzierung nötig, die nicht da ist.

Tagsüber ist es zu ruhig, abends zu düster. Kaum einer flaniert zwischen den Quartieren. Nicht nur im Sommer fehlt das Leben. Was sich drinnen abspielt an spannenden, oft hochkarätigen Veranstaltungen und auch an Kursen und theaterpädagogischen Angeboten dringt kaum nach außen. Viele besuchen nur das italienische Restaurant „ Il Teatro“ oder das Restaurantschiff „John Barnett“ und sind wieder weg.

Temporäre Aktionen wie vom studentischen Verein „Localize“, der im Juni den ebenfalls denkmalgeschützten Stadtkanal mit Kultur flutete, wünscht man sich auch hier. „Localize“-Mitglied Peter Degener betrachtet die Schiffbauergasse als einen Ort, an dem vielleicht ein bisschen zu viel saniert wurde, der aber durchaus neben all den unsichtbaren Tanzkursen innerhalb der Räume im Außenbereich Leerstellen habe, die man noch füllen könnte. „Das Potenzial ist riesengroß. Auf dem Parkhaus könnte man zum Beispiel eine Strandbar errichten, wenn irgendwann die Förderfrist auf gewerbliche Nutzung ausläuft. Das dauert allerdings noch fast 15 Jahre und ist wohl erst etwas für die nächste Generation.“ Schneller umsetzbar wären ein Schulgarten oder Gemüseanbau auf einem Container. „Es muss Natur hinein.“, so Degener. Localize selbst sieht sich als Impulsgeber, der sich aber nirgendwo festsetzen möchte, auch nicht in der Schiffbauergasse. Nur sein Audioguide „Potsdam im Gehörgang“ führt regelmäßig über das geschichtsträchtige Gelände mit der ungewissen Zukunft.

Container zum Begrünen und Bespielen gibt es indes längst. Doch auch die stehen in diesem Sommer verwaist im Schirrhof. Der technische Dienstleister der Stadt, das Trollwerk, hatte vor vier Jahren einen Kunstverein gegründet und die Ausstellungen „Temporary Art Zone“ in die Container gebracht: Sommerkunstangebote mit zusätzlichem Kneipenfeeling. „Diese Ausstellungen gibt es in diesem Jahr nicht, weil unser Antrag auf experimentelle Förderung von der Stadt offensichtlich übersehen wurde“, so Trollwerk-Vereinschef Rico Heidler. Die Kulturamtsleiterin hält auf Nachfrage dagegen, dass es am nötigen Nachdruck seitens des Trollwerks gefehlt habe. Also auch hier scheint Kommunikationsbedarf.

Der Dialog blieb offensichtlich auch beim künstlichen Garten von Dennis Oppenheim aus. Von Trollwerk und dem Kurator Erik Bruinenberg 2008 an den Standort geholt, musste er 2011 wieder gerodet werden. Nur ein Baum überlebte und steht jetzt wie ein einsames Segel vor dem Kunstraum im Schirrhof. Das Wäldchen des New Yorker Künstlers mit den bizarren Gewächsen aus grazil gebogenen Metallstämmen und Blüten aus Hundehütten oder Wäschekörben, das sich als provokanter Blickfang vor dem Museum Fluxus+ ausbreitete, hätte von der Stadt für 50 000 Euro gekauft werden können. „Ein Schnäppchenpreis für einen Künstler, der in der Oberliga spielt“, meinte Rico Heidler damals und betonte, dass Trollwerk in der Stadt keinen Verbündeten gefunden habe, der sich für die Plastiken einsetzte. Doch der Etat der Stadt für Bildende Kunst im öffentlichen Raum beträgt jährlich gerade mal 6000 Euro. „Hätte der Beirat für Kunst im öffentlichen Raum indes seine Empfehlung ausgesprochen, hätte man sich für ein Sponsoring starkmachen können“, sagte die Kulturamtsleiterin 2011. Doch der Beirat stand dem Kunstwerk offensichtlich eher skeptisch gegenüber. Er bemängelte die Standsicherheit. Mit dem Trollwerk sprach er darüber nicht.

Es ist also offensichtlich schwierig, Spuren zu hinterlassen. So bleibt alles zu glatt und es fehlt an Patina. Versuche, dem Standarddenkmalgrau etwas Farbe, etwas Individualität zu geben, enden oft mit grotesken Auflagen. Und auch da liefert das Trollwerk das beste Beispiel. Als es 2009 zu seiner ersten „Temporary Art Zone“ einlud, gab es eine Performance mit der bekannten Künstlerin Birgit Ramsauer. Sieben echte Bäume bis zu drei Meter hoch wurden in großen Sandschubern in den Schirrhof gebracht. Die Künstlerin malte jede Stunde nach dem Sonnenverlauf die Schattenwürfe dieser Bäume nach, bis sich am Ende ein großer blauer Schattenfächer über das Pflaster zog. „Wir hatten das beim Kommunalen Immobilien Service beantragt und erhielten auch die Erlaubnis, aber nur, wenn wir die Farbe wieder rückstandsfrei entfernen“, sagt Rico Heidler. Also griffen die Vereinsmitglieder anschließend brav zum Kärcher. Übrig blieben wieder nur die akkurat aufgezeichneten Parktaschen für Autos. Neben den verwelkten Studentenblumen.

Zur Startseite