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Nicht auffallen. Ein Zuhause hinter Gittern.

© Liz Mields-Kratochwil/Katalog Quintus Verlag

Kultur: Scherben und polierte Köpfe im Strafvollzug

Liz Mields-Kratochwils Fotos hängen in einer Ecke, die man in den verworrenen Landtagsgängen schnell übersieht. Irgendwie passt dieses Abseitige zum Thema ihrer jahrzehntelangen künstlerischen Arbeit.

Liz Mields-Kratochwils Fotos hängen in einer Ecke, die man in den verworrenen Landtagsgängen schnell übersieht. Irgendwie passt dieses Abseitige zum Thema ihrer jahrzehntelangen künstlerischen Arbeit. Die Bildhauerin traf 22 Jahre lang, Woche für Woche, auf Inhaftierte in zwei Berliner Gefängnissen. In ihrem Kunstkurs wehte ein klein wenig ein anderer Wind als in den verriegelten Zellen, „es gibt Luft zum Atmen,“, schreibt sie in dem Katalog „Innenansichten. Beobachtungen im Strafvollzug“, den der Quintus Verlag herausgegeben hat. Er bereichert in Wort und Bild die wenigen Fotos in der Gedok-Ausstellung auf eindrückliche Weise.

Bevor die 69-jährige Berlinerin 1994 begann, mit den inhaftierten Männern malend, zeichnend und formend zu arbeiten, hatte sie die verschwommene Vorstellung, dass man einem Menschen, der im Gefängnis sitzt, seine Verbrechen ansehen müsse. Irgendeine Kleinigkeit, eine Verschlagenheit vielleicht, eine Düsternis, die den Täter „verrieten“. „Doch natürlich war nichts dergleichen zu finden.“ Bei manchen Männern habe sie gespürt, wie gut es ihnen tat, einige Stunden in der Woche einen Raum zu betreten, in dem sie sich anders erleben konnten. Wie Moritz, dessen kreatives Interesse sie mit dazu bewog, immer wieder den unglaublichen Geschichten zuzuhören. Liz Mields-Kratochwil zeigt Gesichter hinter Gittern, die nur wenig preisgeben. Mehr erfährt man über die wenigen persönlichen Dinge in den Zellen: den Zeichnungen, Fotos, Kuscheltieren. „Jeder, der hinter Gittern leben muss, hat einen Scherbenhaufen angehäuft, den er abtragen sollte. Zuerst einmal möchte er gern die Augen davor verschließen. Manche versäumen es, sie wieder zu öffnen“, schreibt sie.

Die Auseinandersetzung mit der Frage, wie sie sich selbst wahrnehmen und wie sie wahrgenommen werden möchten, habe während ihrer Kurse eine enorme Wichtigkeit gewonnen. Sie erlebte die Männer vor allem in ihren zurechtgelegten Rollen, um sich der grauen Masse anzupassen, wie James, Antonio oder Franz. Sie traf auf Menschen, denen sie im Alltag nie begegnet wäre, und lernte, sie zu sehen. „Wie oft reduzieren wir die Menschen, die uns begegnen, auf das, was sie sagen oder tun, auf das, was wir von ihnen wahrnehmen? Und wie wenig werden wir ihnen damit gerecht?“ Diese Frage trieb sie über die Jahre um, während sie fotografierte, dokumentierte, Geschichten sammelte. Auch über Mord und Totschlag.

Und über den Wechsel der Mode, den es auch im Knast gibt: in den Einheitsfrisuren. Erst waren hochgegelte Haarinseln angesagt, jetzt die haarlosen Köpfe, die der Gefängnisfriseur feinsäuberlich schert. Baker Boy hielt ihr immer wieder seinen Kopf unter die Nase und ließ sie riechen: „Mit Penaten-Creme poliert“, gab er stolz Auskunft. Heidi Jäger

Liz Mields-Kratochwil, „Innenansichten, Beobachtungen im Strafvollzug“, Quintus Verlag, 25 Euro

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