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Hände mit Eigenleben. Seyed Alireza Mirmohammadi in „Being“.

© Aela Labbé

Kultur: Schaut mich an

„Being“ ist politisches Tanztheater – nicht nur, weil es aus dem Iran kommt

Es gibt diese Art von Blick, die einem sagt: Bis hierher war es dir viel zu bequem. Die auch sagt: Diese Bequemlichkeit wird jetzt, genau jetzt aufhören. Masoumeh Jalalieh beherrscht diesen Blick. Sie beherrscht ihn in seiner schönsten, reinsten Form. Bei Masoumeh Jalalieh funktioniert er ohne Vorwurf, ohne Aggression. Ein Blick als Feststellung. In „Being“, dem Tanzstück, das am Donnerstag in der fabrik Deutschlandpremiere feierte, schaut die iranische Tänzerin genau so ins Publikum. Vorne an der Rampe steht sie dabei, keinen Meter von der ersten Reihe entfernt. Man entkommt dem Blick dieser Frau nicht. Und das ist, wenn man den Hintergrund dieses Stücks bedenkt, vielleicht schon die erste Provokation.

Masoumeh Jalalieh und ihr Bühnenpartner SeyedAlireza Mirmohammadi kommen aus dem Iran. Es ist schwer, das nicht mitzudenken in dieser Choreografie der Isländerin Bára Sigfúsdóttir. Wenig weiß man hierzulande über zeitgenössischen Tanz aus dem Iran – es gibt ihn eigentlich nicht, hatten die beiden Künstler vorab gesagt. Was man weiß: Mann und Frau dürfen einander auf iranischen Bühnen nicht berühren. Frauen dürfen ihr Haar nicht zeigen, von Nacktheit ganz zu schweigen. Bei so viel Verbot wäre es leicht, vordergründig zu provozieren. Genau das aber tut „Being“ nicht. Ebenso wenig wie die Künstler sich im Vorfeld der Aufführung klar zu den Protesten positionieren wollten, in denen sich seit Ende Dezember Menschen im Iran tausendfach gegen das Regime auflehnen. Politik und Religion dürfen auf der Bühne keine Rolle spielen, noch so eine Regel.

„Being“ (Sein) beachtet diese Regeln – und beachtet sie auch nicht. Statt großer provokativer Gesten zeigt „Being“ etwas eigentlich sehr einfaches: einen Mann (SeyedAlireza Mirmohammadi) und eine Frau (Masoumeh Jalalieh). Natürlich steckt schon in diese Konstellation Verstörungspotenzial, siehe oben. Aber zunächst bewegen sich die beiden in getrennten Welten, der Mann hinten vor der Brandmauer, die Frau in größeren Bewegungen quer durch den Raum. Ausgangspunkt ist bei ihr ein Zucken des Kopfes, eine Art Dauernicken: in Richtung Mann, in Richtung Wand, in Richtung Publikum. Das hat etwas Vogelhaftes, Mechanisches, könnte aber auch ironisches Ja-Ja auf all das, was dieser Frau in den Blick rückt. Bis sie irgendwann vorne steht und uns durch ihren Blick rausreißt aus allen Interpretationsversuchen. Später wird sie wieder hier stehen, zum Publikum schauen, diesmal die Arme hoch hochgerissen. Eine Geste der Entwaffnung, des Sich-Ergebens – wäre da nicht gleichzeitig wieder dieser Blick, der ruhig sagt: Schaut mich an. Schaut, was hier passiert. Auf der Bühne? Im Iran? Dann fällt Masoumeh Jalalieh in sich zusammen und man denkt daran, dass Anfang Januar bei Protesten im Iran in einer einzigen Nacht neun Menschen getötet worden waren.

Nicht nur das Kein-Politik-Gebot bricht „Being“. In einer Szene kauert der Mann am Boden, eine Haltung, die an betende Muslime erinnert. Dann aber scheint die rechte Hand ein Eigenleben zu beginnen. Die Finger spreizen sich, greifen um sich wie tastende Tentakeln, bebende Fühler in die über Sinne erfahrbare Welt. Auch die Zehen kann SeyedAlireza Mirmohammadi ungemein gelenk bewegen. Dieser Körper scheint sein Eigenleben zu führen. Regeln sind ihm egal.

Und so findet er schließlich doch auch das verbotene Terrain, die Gestalt von Masoumeh Jalalieh. Auf Knien, mit gebeugten Köpfen rücken sie nahe zueinander, synchronisieren so einen Moment lang ihre Bewegungen. Wo zuvor so viel Distanz war, wirkt dieser Einklang schon fast wie eine Vereinigung. Zur tatsächlichen Berührung kommt es nicht. Nein, es viel intimer: Auf einer weißen Wand schmelzen die Körper gegen Ende in einander. Als Schatten. Die Frau überlebensgroß, der Mann ein Zwerg. Dann andersherum. Einen Moment lang sind die Schatten sogar gleich groß. Lena Schneider

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