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Ulrike Beerbaum in der Kulisse von "Diener zweier Herren" auf der Seebühne des Hans Otto Theaters. 

© Andreas Klaer

Schauspielerin Ulrike Beerbaum im Porträt: „Die Spaltung einer Familie, das kennt man nach Corona besser“

Das Hans Otto Theater eröffnet am Samstag mit „Der Vorname“ die Spielzeit - anderthalb Jahre nach der geplanten Premiere. Ulrike Beerbaum ist dabei. Ein Treffen.

Potsdam - Anna ist die Frau, die „Der Vorname“ gefährlich werden lässt. Sie ist die Frau, die keine Konfrontation scheut, die auch hoch schwanger kurzes Kleid und hohe Hacken trägt. Sie ist die Frau, deren Kind den Namen Adolf tragen soll, angeblich. Aber das ist nicht der Grund, warum die Komödie mit ihr ernst wird. Anna sorgt dafür, dass unterm Geplänkel die Abgründe aufbrechen. 

In der Potsdamer Inszenierung von Moritz Peters wird Anna von Ulrike Beerbaum gespielt. Und dass „Der Vorname“ von Matthieu Delaporte und Alexandre de La Patellière mit ihrem Auftritt nicht nur ernst, sondern auch erst richtig komisch wird, sagt eigentlich alles über die Kunst dieser Schauspielerin. Sie sorgt für Schonungslosigkeit, und sie sorgt für die ersten richtigen Lacher. Zumindest am Computer der Rezensentin war das so

Pandemiebedingte Paradoxien

Der Praxistest steht freilich noch aus. Denn auch wenn der „Der Vorname“ schon Premiere hatte, steht die Premiere am heutigen Samstag an: pandemiebedingte Paradoxien. Geplant war „Der Vorname“ für April 2020, in die Endproben schlug der erste Lockdown seine Bresche. Im Januar 2021 stellte das Theater eine Online-Premiere ins Netz. Heute nun die richtige Premiere, als Spielzeitauftakt. Live. Vor Publikum. 

Das letzte Mal, dass Ulrike Beerbaum im Großen Haus auf der Bühne stand, ist so lange her, dass sie sich spontan gar nicht erinnern kann. Später finden wir heraus: Es war am 16. Oktober 2020, in Wajdi Mouawads „Vögel“. Darin spielt sie eine Soldatin, streng, aber auch so sinnlich, dass die Erinnerung einen Kuss in die Szene mit Alina Wolff dichten will. Was aber gar nicht sein kann, denn es herrschten schon Corona-Bedingungen.

In "Diener zweier Herren" spielt Ulrike Beerbaum die Gastwirtin Brighella (rechts). 
In "Diener zweier Herren" spielt Ulrike Beerbaum die Gastwirtin Brighella (rechts). 

© Thomas M. Jauk

Noch einmal die Arschbacken zusammenkneifen

„Vögel“ war auch ihre letzte Premiere, der Spielzeitauftakt vor fast genau einem Jahr. Bald darauf herrschte Stille. Sie las viel, kochte mehr als sonst, „die üblichen Ausflüchte“, drehte zwei Kurzfilme. Aber kein Theater. Als Mitte Juni die Premiere der Open Air-Produktion „Diener zweier Herren“ auf der Seebühne anstand, fragte sich Ulrike Beerbaum, ob sie das noch kann: spielen. Wie man ein Instrument verlernt, das man lange nicht benutzt. Dann aber, mit den Kostümen, der Schminke, mit dem Schritt auf die Bühne, „da fiel es dem Körper wieder ein.“

Das Zermürbende am Lockown war, dass er nicht mit einem Mal kam, sagt sie, „Nicht mit Ansage: Jetzt machen wir ein Jahr Pause“. Immer wieder war da die Hoffnung, vielleicht doch spielen zu können. Die Maßnahmen fühlten sich richtig an – aber auch so, als würde man die Beteiligten ganz schön hinhalten. „Nur noch einmal die Arschbacken zusammenkneifen.“ Und nochmal. Und nochmal.

Sie beginnt die vierte Spielzeit, fühlt sich wie am Anfang

Ulrike Beerbaum, geboren 1985 in Stendal, ist seit 2018 im Potsdamer Ensemble. Sie war in Bettina Jahnkes Auftaktinszenierung „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ dabei, in „Das achte Leben“ nach Nino Haratischwili, in Sibylle Bergs „Viel gut essen“ und in Ionescos „Nashörnern“ . Sie hat viel zeigen können, aber längst noch nicht alles. Die Pandemie hat dafür gesorgt, dass sie zwar ihre vierte Spielzeit beginnt, sich noch wie am Anfang fühlt. 

In "Viel gut essen" von Sibylle Berg war Ulrike Beerbaum Fragment eines fünfzigjährigen Wutbürgers, dargestellt von sieben Protagonisten.
In "Viel gut essen" von Sibylle Berg war Ulrike Beerbaum Fragment eines fünfzigjährigen Wutbürgers, dargestellt von sieben Protagonisten.

© Thomas M. Jauk

Was macht eigentlich den Unterschied aus zwischen dem Spiel auf einer Bühne vor leerem Saal oder vor Publikum? „Das was ich mache, wird nur dadurch, dass jemand zuguckt, sinnvoll. Das ist die Crux beim Theater.“ Ich denke, also bin ich, hat Descartes gesagt. Für Ulrike Beerbaums Beruf gilt: Man sieht mich, also bin ich. Und wenn keiner hinsieht?

Ungeimpfte ausschließen? Ein Unwohlsein bleibt

Aber Ulrike Beerbaum ist keine, die jammert, sie spielt gern und freut sich in der kommenden Spielzeit auf Hauptmanns „Vor Sonnenaufgang“ in der Fassung von Ewald Palmetshofer und Kleists „Kohlhaas“. „Am liebsten sollen sich alle impfen lassen, klar“ – aber die Leute dazu zwingen? Ein Unwohlsein bleibt. Ungeimpfte ausschließen? „So ein Druck kann schnell ins Gegenteil ausschlagen, wie man gesehen hat.“ In Wut. Und Widerstand. 

„Das System muss stark genug sein, um die Ungeimpften mittragen, sie überzeugen können – mit anderen Mitteln als Ausschluss.“ Und eine Impfpflicht, die gebe es doch schon. Nicht ausdrücklich, nein. „Aber das ist ziemlich gemogelt.“ Mogeln, merkt man, ist nicht ihres. Zwang, Regelwerke, Gruppendruck: Auch „Der Vorname“ verhandelt diese Themen. Was sagt man – und was nicht? 

"Der Vorname" von Matthieu Delaporte und Alexandre de La Patellière, Regie Moritz Peters, war zunächst für April 2020 geplant. Dann kam Corona. 
"Der Vorname" von Matthieu Delaporte und Alexandre de La Patellière, Regie Moritz Peters, war zunächst für April 2020 geplant. Dann kam Corona. 

© Thomas M. Jauk

Spaltungen, die Familien und Freundschaften durchziehen

Das Stück jetzt wieder zu spielen, war leicht, sagt sie. „Weil das Gerüst da war.“ Rhythmus, Pausen, Blicke. Was sich aber verändert hat: „Die Spaltung, die eine Familie oder nahe Freundschaften angesichts bestimmter Themen durchzieht – das kennt man jetzt, nach Corona, besser.“ Das Stück spricht genau davon. „Und vielleicht wird man auch die Vehemenz des Streites wiedererkennen.“ 

Dann erzählt sie von Ephesos, dem antiken Theater in der heutigen Türkei. Dort war sie im Urlaub. Es fasst 25000 Menschen. „Ich hätte gar nicht gedacht, dass ich so anfällig bin, aber das hat mich berührt“, sagt sie. „Da kommen wir her. Im antiken Theater wurde Politik verhandelt, es war aus sich heraus politisch.“ 

Unterwerfung unter das Finanzdiktat?

Auch wenn das heute anders ist: Das Erbe hallt nach. „Und ich hoffe, dass es noch lange erhalten bleibt.“ Hat sie Zweifel? Durchaus. Wegen der unabsehbaren Folgen der Pandemie, ja. Aber auch wegen dem, was Beerbaum das Finanzdiktat nennt. Es beherrschte schon vor Corona die Theater, sagt sie. „Wenn wir uns dem unterwerfen, dann schießen wir uns selbst ins Aus.“ 

"Der Vorname", Premiere am 14. August um 19.30 Uhr im Großen Haus des Hans Otto Theaters. "Diener zweier Herren", wieder am 15. August um 15 und um 20 Uhr auf der Seebühne.

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