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Vorleserin. Sarah Kuttner ist am Donnerstag zu Gast im Waschhaus. In ihrem neuen Roman erzählt sie die bedrückende Geschichte einer Familie in Auflösung.

© A. Klaer

Sarah Kuttner liest im Waschhaus Potsdam: Scheitern als Chance

Sarah Kuttner liest am Donnerstag im Potsdamer Waschhaus aus ihrem Roman „180°Meer“. Eine tragische Familiengeschichte, die nah dran am Leben ist, ehrlich und eindringlich.

Potsdam - Es ist mal wieder kompliziert: Sarah Kuttner hat sich auch in ihrem dritten Roman „180°Meer“ der Wirrungen des Lebens angenommen. Immerhin gelingt ihr das ganz gut; Sarah Kuttner hat seit ihrem Romandebüt „Mängelexemplar“ aus dem Jahr 2009 zuverlässig Bestseller geliefert – und sich einen Platz im Kanon der Popliteratur gesichert. Am Donnerstag ist sie im Waschhaus zu einer Lesung in Potsdam.

Dabei ist Sarah Kuttner wirklich nicht geradlinig auf die literarische Schiene gekommen: Denn zunächst war sie nur die Tochter der Berliner Radiolegende Jürgen Kuttner. Und wandelte auch in dessen Fußspuren: Zunächst als freie Mitarbeiterin beim Babelsberger Radiosender „Fritz“, wurde die 1979 geborene Kuttner 2001 in einem Casting für den Musiksender „Viva“ ausgewählt. Dem Fernsehen sollte sie treu bleiben: Von „Viva“ ging es dann zur ARD, irgendwann gemeinsam mit ihrem Vater zurück ins Radio, mittlerweile ist sie beim ewigen Jugendsender ZDFneo untergekommen. Eigentlich eine Gewinnerkarriere: Dennoch hat sich Kuttner als literarisches Sujet die Verlierer auserkoren.

Keine Experimente mit dem literarischen Setting

Und diese Perspektive auf die Verlierer hat sie sich auch in „180°Meer“ gesichert, einer tragischen Familiengeschichte: Denn die kleinste Zelle der Gesellschaft ist immer auch ein Ort des größten tragischen Potenzials, das ist kein neuer Erkenntnisgewinn. So geht es auch der Protagonistin Jule, die Kuttner mit gewissen autobiografischen Parallelen ansetzt: Anfang 30, komplizierter Background, eine omnipräsente Unsicherheit – keine Experimente mit dem literarischen Setting. Denn auch im Debüt „Mängelexemplar“ griff sie sich den Grundtenor des Alleinseins, indem sie den Fokus auf das kantige Thema Depression legte. Auch im zweiten Roman geht es ums Scheitern: In „Wachstumsschmerz“ seziert sie die Angst vor dem Erwachsenwerden als eine Mischung von Sehnsucht und Schmerz.

Diese Abnabelungsprozesse werden weiterhin konsequent verfolgt. Denn auch Jule, die sich als mehr oder weniger erfolgreiche Soul-Sängerin durchs Leben schlägt, hadert im Roman mit der Selbstfindung: Die Eltern haben sich früh getrennt, was einen gewissen Schuldkomplex bei der Protagonistin auslöst. Und während die Mutter sich als Alleinerziehende über die Tochter und den kleinen Sohn wölbt, zieht es den Vater weg, nach England. Der Kontakt zu ihm bleibt sporadisch, und die Treffen mit ihm sind immer auch der Beweis der unerfüllten Erwartungen, eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Auszeit in der Großstadt

Währenddessen liefert sich die Mutter ihrer depressiven Stimmung aus, die sie mit Schlaftabletten und Suizidgedanken weiter anheizt. Als auch noch Jules Beziehung zu ihrem Freund zu bröckeln beginnt, nimmt sie sich gemeinsam mit dem Bruder eine Auszeit: Ausgerechnet in London sucht sie den Schutz der großstädtischen Anonymität, um den Kopf wieder freizubekommen.

Dort trifft sie auf ihren Vater – der gerade eine Krebserkrankung diagnostiziert bekam. Der nahende Tod wird zu einem weiteren Faktor: Gelingt Jule die Annäherung an diesen Menschen, den sie nie wirklich hatte und jetzt verlieren wird? Überhaupt: Ist das Ende eines Lebens ein ausreichender Grund, sich über die Erkenntnis hinwegzusetzen, immer im Stich gelassen zu werden?

Kuttner karikiert das Klischeeträchtige

Sicherlich, die Klischeefalle lauert überall. Aber Sarah Kuttner tappt nicht hinein, im Gegenteil: Das Klischeeträchtige selbst wird von der Autorin einfach mit ironischer Überspitzung karikiert. Das macht die Autorin Kuttner schließlich aus: Dass sie so nah am Leben schreibt, so eindringlich, so ehrlich.

Sarah Kuttner liest aus „180°Meer“ am Donnerstag, dem 19. Januar, ab 20 Uhr im Waschhaus, Schiffbauergasse. Der Eintritt kostet 16 Euro im Vorverkauf.

Oliver Dietrich

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