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Theater im Gasometer an der Schiffbauergasse.

© Manfred Thomas

Saisoneröffnung am Potsdamer Hans Otto Theater: Das Virus aus der Hauptrolle gedrängt

80 Minuten Spiellust und ein sommerleichtes Potpourri sollten Lust machen, trotz Corona ins Theater zu gehen. Das gelang - viele Besucher kamen, die ersten Premieren sind ausverkauft.

Potsdam - „Corona hat lange genug die Hauptrolle gespielt“ steht trotzig gleich am Eingang des Hans Otto Theaters, das am Samstagnachmittag zum ersten Mal seit fünf Monaten wieder seine Pforten für das Potsdamer Publikum öffnete. Und dieses kam zahlreich zu den drei Durchgängen der  vor allem sommerlich heiteren, stellenweise provokanten musikalisch-theatralischen Eröffnungsaktion, die unter dem Motto „Jetzt sind wir wieder dran!“ stand. Drei Durchgänge deshalb, weil natürlich auch hier die pandemiebedingten Abstands- und Hygieneregeln eingehalten werden müssen und jetzt im Großen Haus nicht mehr als 90 Zuschauer gleichzeitig sein dürfen.

Erste Premieren sind bereits ausverkauft

Als mit Mund-Nase-Schutz ausgestattete „Wandergruppe“, so der O-Ton einer ebenfalls maskierten Führerin, begab man sich vorbei an David Hörnings E-Gitarre spielenden, barock gekleideten „King D.“ auf rotsamtenem Sessel, der es sichtlich genoss, das geneigte Publikum nach seinem Willen zu dirigieren und zu unterhalten.

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„Es geht um Unterhaltung“ zitierte dann auch Katja Zinsmeister auf der kleinen Seebühne hinter dem HOT aus Wolfram Lotz‘ provokanter Szenenfolge „Einige Nachrichten an das All“ und „Nur keine Leere aufkommen lassen“. Und während die Figur aus Lotz‘ Stück diese scheinbar erfolgreich mit exzessivem Sporttreiben verhindert, haben sich die Schauspieler des HOT mächtig dafür ins Zeug gelegt, diese sommerleichte Eröffnungsaktion vor den ersten Premieren am 4. und am 11. September, die bereits ausverkauft sind, zu starten.

Unterhaltung auf der Seebühne an den Seeterrassen.
Unterhaltung auf der Seebühne an den Seeterrassen.

© Manfred Thomas

Man merkte ihnen ihre unbändige Spiellust bei jedem (Kurz-)Auftritt an, egal, ob Philipp Mauritz weiß gekleidet, langhaarig und bebrillt John Lennon parodierte oder sich Kristin Muthwill und Henning Strübbe beim Theater-Quiz verausgabten. Bei dem festzustellen war, dass auch die meisten Zuschauer die unfreiwillige Theaterpause durch Corona anscheinend nur mit erheblichen Wissenslücken im klassischen Theaterkanon überstanden haben. Nach diesen ersten Appetithappen ging es weiter zum Gasometer, der auch mit diesen wenigen Zuschauern seinen besonderen räumlichen Charme entfaltete.  Dort zelebrierten Bettina Riebesel und Jörg Dathes in Liegestühlen sitzend Sibylle Bergs „Hass-Triptychon“ und arbeiteten sich selbst sichtbar mittelstandsgesättigt und dauertrunken unter anderem am „Freiheits“-Begriff“ ab.

Raumgreifend theatralisch der "Schwanengesang"

Dazwischen schoben sich immer wieder locker improvisierte Fensterszenen dreier junger Frauen, die italienisch-spanisches Spielfilmflair beisteuerten. „Klassisch“ und spürbar raumgreifend theatralisch wurde es hingegen bei Joachim Bergers und René Schwittays Bearbeitung von Tschechows Einakter „Schwanengesang“, in dem ein alternder Schauspieler und sein gleichaltriger Souffleur über ihre Rolle(n) und das bereits gelebte Leben nachdachten.

Ungewohnte Perspektive im Zuschauerraum

Zum Schluss des 80-minütigen insgesamt unterhaltsamen Potpourris ging es dann über die dunkle Hinterbühne – auf der HOT-Neuzugang Janine Kress Hermann Hesses „Stufen“ vortrug – direkt in den Zuschauerraum. Diesmal mit neuer, völlig ungewohnter Zuschauer-Perspektive.

Denn mit der großen Bühne im Rücken konnte man im Zuschauerraum einem kurzweiligen musikalischen Programm beiwohnen, in dem Paul Sies, Paul Willms, Hannes Schuhmacher und Jan Hallmann unter anderem den berühmten „Hey Du“-Song aus dem Musical „Linie 1“ auf die aktuelle Situation zugeschnitten hatten: „Theater war und ist schön“, sangen sie „und immer systemrelevant.“

Bettina Jahnke, Intendantin des Hans Otto Theaters. 
Bettina Jahnke, Intendantin des Hans Otto Theaters. 

© Ottmar Winter

In diesem Sinne hatte dann auch die Intendantin Bettina Jahnke ihren ersten Auftritt. Sie sagte „wenn wir nicht daran (an die Relevanz von Theater) geglaubt hätten, hätten wir diese Zeit nicht überstanden“. 

Nach dieser überaus engagierten Eröffnungsaktion darf man gespannt sein, wie dieses Versprechen eingelöst wird. Denn Theater in der Gegenwart, in der durch Corona gesellschaftliche Fehlentwicklungen wie unter einem Brennglas sichtbar und verstärkt wurden, sollte gerade jetzt mehr als „reine“ Unterhaltung bieten und nicht nur keine Leere aufkommen lassen.

Astrid Priebs-Tröger

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