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Kultur: Ruhe und Rausch

Das Potsdam Museum wirft sich mit der „2. Jungen Museumsnacht“ in die Schlussgerade seiner Ausstellung zu den 80er-Jahren – und begeistert damit auch Nachgeborene

Paula schlägt in der Dunkelheit ein Rad. Vor dem Obelisken bei der Nikolaikirche rotiert das zehnjährige Mädchen elegant über den Platz. Die Leuchtdioden ihrer Turnschuhe blinken, wenn ihre Füße den Boden berühren. „Flickflack klappt noch nicht ganz“, sagt ihre Mutter. Ohnehin wolle Paula eigentlich nicht zum Breakdance, sondern eher Turnerin sein. Die lange Nacht im Potsdam Museum hat Paula und ihre Eltern zu später Stunde auf den Museumsvorplatz gelockt. Denn drinnen wirbeln die Breakdancer, funkeln bunte Strahler.

Die 80-Jahre-Popband Frankie goes to Hollywood schallt aus den Lautsprechern, gefolgt von The Doors, „Riders on the storm“. Die 80er-Jahre im Potsdam Museum sind bald vorbei, aber vorher lädt das Haus noch einmal zu einer Erinnerungsreise in die vergangenen „wilden Zeiten“ Berlins ein. Kein melancholischer Rückblick, sondern ein quietsch lebendiger Abend. Wildes gibt es auch in Potsdam, jedenfalls ein bisschen. „Wir möchten auch jüngeres Publikum an das Museum heranführen“, sagt Jutta Götzmann. Schulen wären mit Besuchen und Workshops regelmäßig dort, aber das Museum sei nicht nur eine Bildungsstätte, sondern gegenwärtig auch ein Ort der freudig praktizierten Hommage an den bunten Szenealltag der 80er-Jahre. Bilder der Ausstellung „Die wilden 80er-Jahre“ zeigen Trommler und Trompeter, Helden und Hetären. Die Malerei der Zeit beschwor einen Zeitgeist, ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein. Neue Malerei aus Berlin war für eine kurze Zeit in den 80er-Jahren ungeheuer hip. „Die Bilder sehen teilweise deshalb so hingerotzt aus, weil sie wirklich schnell mal nachts für den Sammler, der sie kurz zuvor bestellt hatte, fertig gemacht wurden. Dann mussten die Künstler eben um Mitternacht raus aus der Disko und ins Atelier. Deshalb auch die schnell trocknende Acryl-Farbe“, erinnert sich der Bildhauer Volker Bartsch an seine damaligen Malerkollegen Rainer Fetting und Helmut Mittendorf. Bartsch hat die Zeit damals in Westberlin hautnah miterlebt. „Ich kann nicht so recht verstehen, was für ein Hype heute um die ganzen Musiker von damals gemacht wird. Mit Iggy Pop und Blixa Bargeld habe ich regelmäßig am Tresen gestanden und die Nacht durchgetrunken“, erinnert sich der 1953 in Goslar geborene Künstler. Es war noch keine Aufbruchstimmung in den 80er-Jahren, die Mauer stand fest und Berlin war eine Insel. Aber die Malerei explodierte.

„Das ist die Malerei unserer Eltern“, sagt die hübsch geschminkte 15-jährige Amy Kaesler. Dennoch könne sie damit schon etwas anfangen. Auch die Musik von vor 30 Jahren, die den frei geräumten, mit Holzparkett ausgelegten Saal füllt, reißt das lebhafte Mädchen offensichtlich mit. Das mag auch daran liegen, dass der DJ Maximilian Linse, der auch für die Beleuchtung verantwortlich zeichnet, den Sound vergangener Zeiten meist geschickt, manchmal aber auch ziemlich brachial, mit aktuellem Hip-Hop zusammen mixt. Zu Hip-Hop in seinen diversen, für den Laien nicht so recht differenzierbaren Spielarten liefern sich die Breakdancer der Tanzakademie Erxleben aus Potsdam einen Breakdance-Battle. Als der 15-jährige, ausgesprochen schlaksige Nils Tamberg anfängt sich zu drehen, über den Boden zu rotieren, sich wie ein Korkenzieher hochzuziehen und auf dem Handballen zu rotieren, zeigt sich, dass auch Potsdam eine muntere Breakdance-Szene hervorgebracht hat. Jannek Lange bietet Nils anschließend Paroli. Mit weit flatterndem T-Shirt biegt er Beine und Arme, robbt über den Boden und flitzt quer über die Tanzfläche. Es ist kein richtiger Battle, ein Sieger wird nicht gekürt. Aber der Spaß am eigenen Körper und der rauschhaften Bewegung ist offensichtlich. Die ekstatische Freiheit der 80er-Jahre-Diskos Westberlins findet sich im Potsdam des neuen Jahrtausends wieder. Im Studio trainiert „Hawk“ die Gruppe. In den vergangenen Monaten haben rund 20 Tänzer eine Choreografie einstudiert. Im Museum ist davon ein Ausschnitt zu sehen. „Das ist erweiterbar. Wir hoffen natürlich auf größere Auftritte“, erklärt Hawk.

„Wir wollen Potsdamer Unternehmen in das Museum einbinden und damit auch zeigen, wie vielfältig ein Museum sein kann“, kommentiert Götzmann. Im Raum neben dem Tanzsaal geht es dagegen ganz klassisch zu. Bernadette Knoeller posiert als Aktmodell, mit Kreide, Bleistift und Pinsel zeichnen Interessierte ihre Formen auf dem Papier nach. Anschließend sind die Studien an der Wand des Museums zu sehen. Aktzeichnen, eine ganz klassische Disziplin der Künstlerausbildung, fristet an den Universitäten mittlerweile eher ein Schattendasein. Das Studium der Figur kann, aber muss nicht sein, wenn die Vorlage für das Bild zumeist doch eher aus dem Rechner kommt. „Technik, Handwerk, das war nicht so wichtig. Die Kurse für Maltechnik hat kaum jemand besucht“, erinnert sich Volker Bartsch an sein Studium an der Hochschule der Künste im Westberlin der 80er-Jahre. Einige damalige Studenten waren aber durchaus auf der maltechnischen Höhe der besser ausgebildeten Ostmaler. In Heike Ruschmeyers Bild „Nachtwandler“ lehnt dieser melancholisch am Baum und erinnert daran, dass Ruhe und Rausch zwei komplementäre künstlerische Pole sind.

Richard Rabensaat

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