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Kultur: Romantik des Sozialismus

Am heutigen Samstag wird die Bar im Hotel Mercure wiederbelebt. Dort entstanden 1978 Szenen des Defa-Films „Nachtspiele“. Das Filmmuseum hat ihn wieder ausgegraben

Ein „ganz akzeptabler, kleiner, unauffälliger, aber gewiss auch kein vollkommener Film“ schreibt die Berliner Zeitung 1979 über „Nachtspiele“ von Werner Bergmann. Im Lexikon des internationalen Films heißt es dazu: „spannungsloser Problemfilm mit lustspielhaften Elementen“. Der Defa-Film wird also nicht der ganz große Knaller gewesen sein. Er wurde zunächst in den Kinos, 1980 auch erstmals im DDR-Fernsehen gezeigt. Heute ist er fast vergessen, er ist weder auf DVD noch Video erhältlich. Aber im Filmverleih – und er wird am heutigen Samstag und morgigen Sonntag noch einmal im Filmmuseum gezeigt. Der Grund: Er wurde damals fast ausschließlich im Hotel Mercure, damals Interhotel, und dem angrenzenden Areal gedreht. Der Film passt zur Wiederbelebung der Hotelbar in der 17. Etage für die heutige Samstagnacht. Denn auch dort wurden einige Szenen gedreht. So sitzen sich die Protagonisten in tiefblauen Klubsesseln an Tischen mit weiß gestärkten Tischdecken gegenüber.

Die Geschichte ist schnell erzählt. Herr Paul, gespielt von Horst Drinda, ist auf Dienstreise in Potsdam. In der Hotelhalle läuft ihm die Frau eines Sportfreundes über den Weg. Frau Sbrchylinska, gespielt von Christine Schorn, hatte eine Autopanne und sucht nun, da der Wagen in der Werkstatt ist, dringend ein Hotelzimmer für die Nacht. Das Hotel ist ausgebucht, aber sie soll warten, vielleicht werde noch was frei. Herr Paul und Frau Sbrchylinska gehen also zusammen ins Restaurant, draußen spazieren und später in die Bar. Und obwohl sie sich nur flüchtig kennen, entwickelt sich eine seltsame Vertrautheit unter den beiden. Zuletzt schleust er sie in sein Hotelzimmer, wo sie im Bett schläft, Herr Paul im Sessel.

Im Hotel übernachten auch zwei junge Leute, ein Ehepaar, das noch bei den Eltern wohnt und für eine Nacht der familiären Enge und Aufsicht entfliehen will. Doch so richtig wissen sie mit der plötzlichen Freiheit nichts anzufangen. Immerhin, nachdem sie in der Bar etwas getrunken haben, gehen sie leicht beschwingt zurück ins Zimmer und bemalen dort die Wand mit Lippenstift und Creme – ein Hauch von Übermut. Am nächsten Morgen aber ist die Welt unverändert, der Alltag unvermeidlich.

„Hier im Haus kann sich keiner mehr an die Dreharbeiten erinnern“, sagt Hotelchef Marco Wesolowski. Zwar gibt es Mitarbeiter, die bereits damals am Haus waren. Aber die Defa schottete sich ab, von den Filmarbeiten bekam man so gut wie nichts mit.

Selbst Christine Schorn, damals Mitte 30, erinnert sich nur noch vage an die Arbeiten zu „Nachtspiele“. „Ich weiß nur noch, dass es wahnsinnig kalt war“, sagt Schorn. Gedreht wurde im zeitigen Frühjahr 1978. „Es sollte ein lauer Sommerabend sein, wir gingen draußen spazieren und uns schlotterten die Knie“, sagt Schorn. Außerdem ist ihr noch die Szene in Erinnerung, in der die Wand im Hotelzimmer bemalt wird.

Während die Defa damals im und am Haus drehte, war das Hotel weiterhin für Gäste geöffnet. Die Schauspieler allerdings übernachteten nicht im Haus. „Wir Schauspieler aus Berlin pendelten immer zwischen Berlin und Potsdam, immer einmal um die ganze Stadt herum. Alles außer den Dreharbeiten fand auf dem Defa-Gelände in Babelsberg statt. Wir wurden dort geschminkt und zogen uns um, dann wurden wir zum Hotel gefahren.“ Mit „Nachtspiele“ konnte Schorn erstmals als Hauptdarstellerin auf sich aufmerksam machen. „Ich war ja bis dahin nicht so bedeutend“, sagt Schorn. Bis heute ist sie in vielen Fernsehfilmen zu sehen.

Im einstigen Interhotel war sie seitdem nicht wieder. „Ich kenne es jetzt nur vom Vorbeifahren.“ Die Diskussionen zur Zukunft des DDR-Baus verfolgt sie. Was sagt sie selbst dazu? „Wenn es gebraucht wird, dann wäre es schon wichtig, dass es bleibt. Es steht ja an einer wunderschönen Ecke. Aber schön isses nicht.“

Hotelchef Marco Wesolowski indes freut sich über die wachsende Pro-Hotel-Stimmung in der Stadt. Trotz vorerst gescheitertem Bürgerbegehren. Die am Wochenende geplante Veranstaltung soll auf die Möglichkeiten des Hotels, aber auch auf dessen Geschichte aufmerksam machen. So ist im Foyer im Erdgeschoss eine Ausstellung mit Fotos aus der Hotelgeschichte zu sehen, nicht nur am Samstag, sondern sicherlich auch noch in den Tagen danach, sagte Wesolowski. Dazu hatten viele Potsdamer Bürger ihre privaten Fotos aus Interhotel-Zeiten zur Verfügung gestellt.

In der 17. Etage, die sonst nur Hotelgästen und Tagungsteilnehmern zugänglich ist, wird noch einmal die Panoramabar geöffnet. Mit Kaffeehausambiente von 11 bis 17 Uhr, ab 21 Uhr dann mit dem Team der „Bar Fritzen“. Aus 60 Metern Höhe kann man dann stilvoll auf die Stadt Potsdam herunterschauen – ganz so wie damals „Herr Paul“ und „Frau Sbrchylinska“.

Auch unten in der Hafenbar mixen die „Bar Fritzen“ Getränke. Daneben gibt es im Restaurant ein besonderes gastronomisches Angebot aus der Küche von Michael Häberer, der im Übrigen bereits zur Zeit der Dreharbeiten von „Nachtspiele“ in der Hotelküche arbeitete. „Damals und heute“ heißt das Motto des Buffets – mit Ukrainischer Soljanka, Eiern mit Forellenkaviar, Beef Stroganow oder Havelländer Fruchtsalat mit weißer Schokoladenmousse aus Interhotel-Zeiten sowie frischer, moderner Mercure-Küche.

Wie sehr sich das alte Potsdam mit seinem Interhotel im Defa-Film wiederfindet und ob es überhaupt zu erkennen ist, kann nicht einmal Christine Handke vom Filmmuseum sagen. „Keiner von uns hat den Film bisher gesehen“, sagt Handke. Weil er nie digitalisiert wurde, gibt es dazu kaum noch Möglichkeiten. Auch im Hotel kennt keiner den alten Defa-Streifen. „Vielleicht können wir ihn ja irgendwann direkt im Hotel zeigen“, sagte Wesolowski. „Wir sind immer offen für verrückte Sachen.“

Panoramabar im Hotel Mercure geöffnet von 11 bis 17 Uhr sowie ab 20 Uhr, Einlass nur mit Reservierung. Ausstellung und Restaurant ab 11 Uhr ohne Reservierung. Mehr Info auf www.17Etage.de. Der Film „Nachtspiele“ wird im Filmmuseum am Samstag um 17 Uhr, am Sonntag um 19 Uhr gezeigt, Karten kosten 6 Euro

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