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Kultur: Respekt vor der S-Bahn im Kopf Petzold und Jacob an der HFF: Der Ton in Yella

„Darf ich dich zum Bahnhof fahren?“, fragt der blonde Mann über den Gartenzaun.

„Darf ich dich zum Bahnhof fahren?“, fragt der blonde Mann über den Gartenzaun. Yella, in dem gleichnamigen Film gespielt von Nina Hoss, zögert. In die Stille hinein kracht statt ihrer Antwort ein Düsenjet. Die Kamera schwenkt suchend in den Sommerhimmel, der Düsenjet ist nicht zu sehen. Das Geräusch aber, der Schrecken, bleibt im Ohr. Ein kurzer Donner, eine Warnung. Der Mann wird Yella mit dem Auto in den Tod fahren.

Im Rahmen des Seminars „Audiovisuelle Wahrnehmung und Tonkonzepte“ wurde Christian Petzolds eindrücklicher Film „Yella“ am Montag erneut an der Hochschule für Film und Fernsehen gezeigt. Zu der von Professor Martin Steyer geleiteten Veranstaltung erschien an der Seite des Regisseurs ein Mann, der sonst selten in der Öffentlichkeit zu sehen ist: der Tongestalter Dirk Jacob. Weil längst nicht alle Geräusche in „Yella“ so einprägsam sind wie der Düsenjet, der Todesbote am Beginn der Geschichte, mag es überraschen, dass sich der Studiengang Ton gerade diesen stillen Film vornahm. Keine krachigen Soundeffekte, zu großen Teilen keine Musik. Stille also?

Irrtum. Wer den Ton nicht nur fließen ließ, sondern hinhörte, dem offenbarte sich in den scheinbaren Stillen eine faszinierende Bandbreite von Tönen, und damit ein fast neuer Film. Kein Ton ist hier beliebig, keine Gesprächspause wirklich still: Bäume rauschen, Frösche quaken, Stimmen wispern. Solche beredten Pausen gibt es in Petzolds Filmen viele. Um den Orten nachzulauschen oder um überflüssige Dialoge zu ersetzen. „Es ist seltsam: Je mehr wir an Dialog streichen, desto länger wird der Film“, kommentiert der Regisseur. Denn auch herausgestrichene Sätze bleiben, bilden eine Art atmosphärische Präsenz. So lässt sich ohne Worte nicht nur mehr, sondern auch subtiler erzählen. Deswegen will Petzold nicht alle Geräusche auf der Leinwand zeigen, soll der Düsenjet aus der Anfangsszene oder der Krähenschwarm am Himmel nicht zu sehen sein. „Dieses sonst übliche dauernde Zeigen nimmt der Imagination etwas weg. Ich will die S-Bahn im Kopf respektieren“.

Mit der „S-Bahn im Kopf“ tritt auch der Ton in den Vordergrund. Sonst wirken Tongestalter wie viele andere technische Mitarbeiter bekanntlich eher im Hintergrund: Während Kinoliebhaber von dem Regisseur Christian Petzold sicher gehört haben, kennen Dirk Jacob nur die wenigsten. Dabei zählt der Mann zu den Großen des deutschen Tons, hat bei fast allen Tom Tykwer Produktionen und unzähligen anderen Filmen mitgearbeitet und in diesem Jahr den Deutschen Filmpreis für die beste Tongestaltung gewonnen. Zum zweiten Mal. Auch bei der Veranstaltung in der HFF hielt er sich zurück.

Dass andere im Rampenlicht stehen, stört Jacob jedoch nicht. Er weiß, dass ohne ihn die Erfolge der Filme nicht möglich wären. „Der Ton ist ein Sinn, der nicht so greifbar ist wie Bilder etwa, der aber viel bewusster wahrgenommen wird“, sagt er. „Wenn man nachts im Bett liegt, sieht man ja nicht, wo man ist, sondern fühlt es, hört es.“ Geräusche funktionieren dann am besten, wenn man sich nicht auf sie konzentriert, sondern sie sich unbemerkt ins Unterbewusste schleichen. Keinesfalls sollte einem der Ton vorschreiben, was man zu empfinden hat. Hier erklärt sich die wunderbare Zusammenarbeit zwischen Tonkünstler und Regisseur: Sie eint die Abscheu vor dem Plakativen. Christian Petzolds nächstes, nach der anhaltinischen Stadt „Jerichow“ betitelte Projekt steht schon fest. Neben Benno Führmann ist auch Nina Hoss wieder dabei. Vielleicht steht ja auch Dirk Jacob im Abspann. Lena Schneider

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