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Großartig intensiv. In Julia Langhofs Debüt „Lomo“ spielt Jonas Dassler Karl. Der wächst mit seiner Zwillingsschwester Anna in einem noblen Stadtteil auf und steht kurz vor dem Abitur. Karl weiß nicht, was er vom Leben will – nur, dass er die Klassenkameradin Doro gern für sich hätte, das weiß er.

© Flare Film GmbH/Michal Grabows

Regisseurin Julia Langhof im Thalia Potsdam: Im Sturm der Gleichgültigkeit

Julia Langhof schafft mit ihrem Langfilmdebüt „Lomo – The Language Of Many Others“ das Porträt einer von Virtualität geprägten Generation. Was das mit Odysseus zu tun hat, berichtete sie im Thalia.

Von Sarah Kugler

Potsdam - Das Wasser klatscht gegen die Autoscheiben, schäumt kurz auf und wird von riesigen Bürsten weggeschoben. Der Vorgang wiederholt sich, das Wasser kommt in Wellen, die Bürsten werden zum Sturm, der sie wegdrückt. Im Kern dieses Sturms finden sich derweil zwei Hände. Ganz zaghaft zunächst, die kleinen Finger berühren sich, die restlichen Finger ziehen nach. Ein kurzer Moment zarter Romantik – die in Julia Langhofs Film „Lomo – The Language Of Many Others“ ein ungelebter Traum bleiben wird.

Überhaupt gleicht Langhofs Langfilmdebüt, das sie am Samstag im Babelsberger Thalia-Kino vorstellte, einer düsteren, berührenden Traumreise, aus der ihr Protagonist Karl erst ganz am Ende erwacht. Dieser Karl (großartig intensiv: Jonas Dassler) wächst mit seiner Zwillingsschwester Anna (Eva Nürnberg) in einem noblen Stadtteil auf und steht kurz vor dem Abitur. Während seine Schwester bereits konkrete Studienpläne schmiedet, weiß Karl noch nicht, was er vom Leben möchte. Seine Eltern sind keine große Hilfe: Der Vater, ein erfolgreicher Architekt, bangt um den nächsten Auftrag, seine Mutter flüchtet sich vor ihrem Hausfrauendasein in Computerspiele.

Eine umgekehrte Odyssee

Karl scheint das alles egal zu sein, er lässt die Schule schleifen, verhält sich allem passiv gegenüber. Einzig in seinem Blog „The Language Of Many Others“ findet er Bestätigung. Als sich seine Mitschülerin Doro (berührend: Lucie Hollmann) für ihn interessiert, scheint sein Leben jedoch einen Sinn zu bekommen. Er verliebt sich heftig, doch Doro will sich nicht auf große Gefühle einlassen, nach ein paar Mal Sex weist sie ihn ab – Karl ist zerstört und stürzt in eine noch tiefere Gleichgültigkeit. In verletzter Wut stellt er ein Sexvideo von sich und Doro online – mit fatalen Folgen.

Es ist eine umgekehrte, scharf beobachtete Odyssee, die Julia Langhof hier erzählt: Ein junger Mann geht orientierungslos auf die Reise, bis er sein Leben selbst in die Hand nehmen kann. Tatsächlich basiert die ursprüngliche Filmidee auf Homers Geschichte über Odysseus, wie die Regisseurin am Samstag erzählt. Während ihres Studiums an der Deutschen Film- und Fernsehakademie (DFFB) in Berlin belegt sie ein Seminar, in dem die Studierenden eine moderne Adaption des Stoffes verfilmen sollten. „Odysseus ist jemand, der sich von den Göttern befreit, ein moderner Vorreiter seiner Zeit“, sagt die Berliner Regisseurin. Heute müsse so ein Vorreiter ein Digital Native sein, also ein junger Mensch, der ganz selbstverständlich mit sozialen Medien aufwächst. Die Figur Karl war geboren.

Lieber Netflix als Instagram

Bis Karl zum Protagonisten von „Lomo“ wird, vergehen allerdings noch mehrere Jahre, von der ursprünglichen Idee bleibt allein die futuristische Technik-Komponente. „Die Entwicklung schreitet heutzutage so schnell voran, dass wir ständig von Technik eingeholt werden“, sagt die 36-Jährige. Diese gelebte Science-Fiction ist für sie gruselig und spannend zugleich. Langhof selbst ist auf sozialen Medien kaum aktiv: Das bei den Jugendlichen schon wieder ausrangierte Facebook nutzt sie nur zum Promoten ihres Filmes, auf dem gerade hippen Instagram hat sie lediglich aus Versehen ein Bild gepostet, wie sie sagt. „Mich zerstreut das alles, abhängig bin ich nur von Netflix“, fügt sie mit einem Schmunzeln hinzu.

Trotzdem beschäftige sie die Wirkung der sozialen Medien – besonders auf junge Menschen. „Vor allem auf Instagram werden Nutzer ständig mit perfekten Scheinwelten konfrontiert“, sagt Langhof. Während sich Jugendliche früher nur mit den Schulkameraden messen mussten, vergleichen sie sich nun mit der gesamten Welt. „Damit klarzukommen und sich nicht in Frage zu stellen, ist ein großes Problem.“

Auch Langhof musste sich schon selbst hinterfragen: Bevor sie in Berlin ihr Regiestudium begann, studierte sie zwei Jahre Schauspiel in New York, merkte aber bald, dass das nicht ihr Weg ist. „Ich glaube, ich habe einfach etwas verwechselt“, sagt sie. Sie habe immer Filme machen und Geschichten erzählen wollen. „Aber als Schauspielerin hast du gar keinen Einfluss auf Inhalte, also musste ich Regie führen.“ Auf Themen festlegen möchte sie sich in ihrer Arbeit nicht, sondern die bearbeiten, die sie interessieren. „Um die Wirkung oder eine bestimmte Botschaft mache ich mir wenig Gedanken. So bin ich und so mache ich Filme.“ Sie hofft, dabei auch künftig den Mut zu behalten, sich immer wieder auf neue Genres einlassen zu können. Diese Wandelbarkeit bewundert sie bei Kollegen.

Liebe braucht Mut und Kommunikation

Überhaupt ist ihr Mut wichtig. Auch in der Liebe, um die es in „Lomo“ eigentlich geht. Die absolute, ganz besondere Liebe, an die sich Karl so sehr klammert, dass alles andere unwichtig wird. Die Doro so sehr ablehnt, weil sie sich vor der Nähe fürchtet. Und die alle anderen Figuren in Langhofs Film nicht wahrnehmen, weil sie nicht miteinander reden. „Es erfordert Mut, seine Gefühle zu offenbaren“, sagt Langhof, die gemeinsam mit Thomas Gerhold das Drehbuch schrieb. „Mut und Kommunikation.“

Den Filmfiguren fehlt es an beidem. Sie werden dadurch zu Spiegeln unserer Zeit, einer Zeit, in der sich einige Menschen in der Anonymität des Internets verlieren. Und in deren Schutz sie Grenzen überschreiten, ohne es zu merken. Ein Zustand, der in einer Szene des Films besonders deutlich wird: In einem Moment der Sehnsucht dringt Karl in Doros Schlafzimmer ein, die beiden verbringen die Nacht miteinander. Der eigentlich gruselige – ganz und gar nicht romantische – Moment des rücksichtslosen Eindringens in eine Privatsphäre verschwimmt mit dem Traum von der großen „Romeo-und-Julia- Geste“, wie Langhof sie nennt. Von der Zärtlichkeit der ersten Handberührung im Sturm der Autowaschanlage bleibt dabei nichts übrig.

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„Lomo“ läuft täglich mehrmals im Thalia-Kino, Rudolf-Breitscheid Straße 50.

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