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Francis Meletzky.

© privat

Regisseurin Francis Meletzky schreibt an Fontane: "Mir scheint, Sie wollten von kühnen Menschen erzählen"

In ihrem Brief befragt die Potsdamer Regisseurin Francis Meletzky Fontane, woher er so viel über die weibliche Psyche weiß.

Sehr geehrter Herr Fontane,

vor ungefähr einem Monat unterhielt ich mich mit meinem Sohn über FRAU JENNY TREIBEL. Wir fragten uns, wie es kam, dass SIE diese Geschichten über Frauen erzählten. Und zwar nicht mit der zeittypischen Haltung, sondern als einer, der zeigt, dass ein einziger Zufall bestimmt, ob Du Dein Leben gestalten kannst oder nicht.

Ob man als Junge oder Mädchen zur Welt kommt, ist heute immer noch mehr oder weniger Zufall oder Glück. Aber eins nach dem anderen. Mein Sohn und ich wollten herausfinden, ob Sie besonders geprägt wurden von Frauen oder von einer Frau in Ihrem Leben. Und ob Sie deshalb diese Schicksale erzählten. Besonders denke ich dabei an Grete Minde. Wie lange haben Sie damals das Schicksal der realen Margarethe Minden recherchiert? Ich war sehr beeindruckt zu lesen, dass IHRE Novelle dazu führte, dass der Fall und alle Akten dazu neu geöffnet wurden. Mit dem Ergebnis, dass das Mädchen zum Zeitpunkt des Brandes nicht einmal in der Stadt war. Sie wurde zu Unrecht gefoltert und verbrannt!

Ich war neugierig: Wieso schreibt ein Mann im Alter von über sechzig Jahren über die (anfangs) siebzehnjährige EFFI BRIEST?

Woher weiß Herr Fontane so viel über die weibliche Psyche? Über die Sehnsüchte und Ängste und Freuden der Frauen?

Nun habe ich recherchiert: Sie hatten eine sehr vertrauens- und liebevolle Beziehung zu Ihrer Mutter? Und wenn die Quellen stimmen, gilt das auch für Ihre zwei Schwestern, seit deren Geburt und ein Leben lang?

Ich gestehe, auch ein paar private Briefe zwischen Ihnen und Ihrer Frau Emilie gelesen zu haben. Verzeihen Sie bitte. Es scheint mir, Emilie war nicht nur Stütze und Partner, sondern auch Ihre Liebste, ein Leben lang. Und ich fand interessant, wie sehr Sie sich eine Tochter gewünscht haben. Nachträglicher Glückwunsch zu Ihrer Tochter Marta! Ist es richtig, dass diese Ihre Tochter in ihrer Wildheit und Klugheit Vorbild wurde für die Figur der Corinna in FRAU JENNY TREIBEL?

Auch Ihre männlichen Helden kann man heute immer noch nachlesen, zum Beispiel JOHN MAYNARD haben SIE verewigt … Waren es eigentlich immer reale Begebenheiten, die Sie zu ihren Geschichten inspiriert haben? Mir scheint, Sie wollten von kühnen Menschen erzählen und Ungerechtigkeit aufzeigen?

Deshalb jetzt meine Bitte: Kommen Sie nochmal zurück auf die Erde. Der Zugang zu den neuesten Nachrichten ist heute sehr viel einfacher als damals. Mein Sohn kann Ihnen das alles zeigen, Sie werden staunen. Auch das Reisen geht zügiger. Das Thema GERECHTIGKEIT braucht immer noch die Künstler, Politiker, Menschen mit Visionen und Mut.

Wenn Sie Lust haben sollten, meiner Bitte zu folgen, ist für Sie sicherlich Folgendes wichtig. Deutschland wird jetzt nicht mehr von einem Kaiser regiert, sondern von mehreren Parteien, die jeweils Vorsitzende haben. Diese vom Volk gewählte Regierung hat einen Menschen als obersten Vertreter. Der Witz ist aber, dass viele Menschen gar nicht mitwählen, wer sie regiert, obwohl sie es könnten! Es wird wirklich jeder Erwachsene nach seiner Meinung gefragt und glauben Sie mir, viele reagieren einfach nicht! Was genau diese Menschen aber nicht vom Schimpfen abhält über ihre Regierung. Aber bevor ich zu emotional werde, erzähle ich Ihnen noch schnell, dass momentan der oberste Vertreter der Regierung eine Frau ist, sie nennt sich die Kanzlerin.

Das lässt Sie sicher staunen. Zudem ist sie im Übrigen eine Pfarrerstochter! Ich kenne natürlich Ihre Sicht auf die Pfarrer, die nicht immer unkritisch ist, allein ich hätte gern etwas Aktuelleres von Ihnen, aber dazu später. Dass eine Kanzlerin Deutschland führt, klingt für Sie wahrscheinlich wie ein Wunder. Genauso wie die Neuigkeit, dass in fast allen Berufen Männer und Frauen arbeiten. Trotzdem verdienen Frauen bei gleicher Arbeit meist erheblich weniger. Ich habe das lange nicht so betrachtet, wahrscheinlich, weil es mich als Regisseurin nicht betraf. Ich bin sehr neugierig auf Ihren Blick und Meinung zu dem Umgang, den Männer und Frauen heute haben!

Auch müssen Sie wissen, dass gerade wieder eine Völkerwanderung stattfindet. Millionen Menschen sind gerade unterwegs nach Europa, auch nach Deutschland. Sie flüchten vor Krieg und Armut und suchen verzweifelt ihr Glück hier. Denn sie haben nicht das Geschenk erhalten, hier geboren zu sein. Natürlich kommen nicht nur Gutmenschen zu uns und viele Deutsche haben Angst, ihren Wohlstand oder sich selbst zu verlieren in diesem Prozess. Es ist auch dies wieder eine Zeit voller Herausforderungen und Themen und Schicksale!

Ein Projekt würde ich gern mit Ihnen persönlich entwickeln: FRAU MARGOT KÄßMANN. Mittlerweile gibt es nämlich auch Pfarrerinnen und diese hier ist kühn und zugleich tragisch. Ich kann kaum abwarten zu erleben, wie Sie heute erzählen werden, Herr Fontane!

Haben Sie keine Bedenken: Ich verspreche Ihnen, für großzügiges Salär zu sorgen.

Herzlichste Grüße,

Francis Meletzky

Es schreibt heute:

Francis Meletzky. Die Regisseurin und Drehbuchautorin studierte an der HFF und lebt mit ihrer Familie in Potsdam. Zu ihren zahlreichen Filmen gehören „Nachbarinnen“, „Frei nach Plan“, „Aenne Burda – Die Wirtschaftswunderfrau“, "Vorwärts immer!" und diverse Tatorte.

>>Nächste Woche schreibt der Historiker Julius H. Schoeps, Gründungsdirektor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam und Vorstandsvorsitzender der Moses Mendelssohn Stiftung.

Alle Folgen der Serie „Briefe an Fontane“ zum 200. Geburtstag des Schriftstellers lesen Sie auf www.pnn.de/themen/fontane

Francis Meletzky

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