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Anja Engel: "Ich finde es eine riesige vertane Chance, dass in der Machbarkeitsstudie der Stadt für das Kreativquartier das Rechenzentrum nicht mit betrachtet wird."

© Andreas Klaer

Rechenzentrum in Potsdam: Anja Engel: „Wir brauchen Entwicklungsflächen!“

Im Rechenzentrum soll 2023 das Licht ausgehen. Im PNN-Interview spricht Kulturmanagerin Anja Engel über Alternativen für Potsdams Kreative.

Frau Engel, Sie sitzen als Kulturmanagerin zwischen allen Stühlen. Haben Sie es schon bereut, im Rechenzentrum zu arbeiten?
Nein, ich bereue es nicht. Ich habe hier eine aufregende Aufgabe. Trotz einiger Widrigkeiten gibt es Gestaltungsmöglichkeiten. Es ist eine gute Schule auf vielen Ebenen: vor allem in den Übersetzungskompetenzen. Aber es stimmt: Ich sitze zwischen vielen Stühlen.

Vor allem zwischen Befürwortern und Gegnern.

Ich sitze zwischen Hauseigentümer und Betreiber, Stadtverwaltung und -politik, Initiativen und Einzelnen, und natürlich zwischen den rund 250 Nutzenden. Die einen wollen aktiv sein, die anderen in Ruhe arbeiten, die einen unbedingt den Bestand erhalten, die anderen abreißen. Aber alle wollten, dass es hier über August 2018 weitergeht.

Alle Mietverträge liefen am 31. August aus.

Ja, nach drei Jahren endete die Phase eins, in der es unter anderen darum ging, ein leeres Haus voll zu kriegen und sichtbar zu machen.

Und was passiert in Phase zwei?

Die jetzigen Verträge laufen bis 31. Dezember 2023. Wir fangen nicht bei Null an, auch wenn es sich für manche so anfühlt. Wir können auf viele Vernetzungen aufbauen. Es gab nach dem Auslaufen der Mietverträge ja keinen Exodus. Ein Großteil der Nutzenden bleibt.

Die umstrittene Anhebung des Mietpreises von 7 Euro auf 9,95 Euro hat also nicht zu einem weitgehenden Leerzug Ihrer 5000 Quadratmeter geführt?

Die gute Nachricht: Das Haus ist noch immer zu großen Teilen gefüllt. Und es gibt weitere Mietanfragen. Aber eine 40-prozentige Mieterhöhung ist nicht unerheblich. Die meisten, für die das finanziell ein Problem war, haben sich verkleinert, tun sich zusammen. Etwas mehr als fünf Prozent sind ausgezogen, aber nicht allein aus finanziellen Gründen. In den letzten Wochen gab es viel Bewegung im Haus: Manche vergrößerten sich, andere zogen in ruhigere Ecken – weg vom Baustellenlärm. Neue ziehen noch immer ein. Manche ziehen auch aus und an den Rand: nach Werder, wo sie für weniger Geld mehr Platz finden.

Künstler in Berlin können es sich nicht mehr leisten, im Zentrum zu arbeiten und ziehen nach Hohenschönhausen. Dort bezahlen sie rund 10 Euro. Sind 9,95 Euro im Stadtzentrum da nicht noch vertretbar?

Aufgrund der Kleinteiligkeit der Räume können sich das viele leisten, ja. An sich, finde ich, ist es nicht günstig, es hängt vom Feld ab, das man bearbeitet.

Nun sind die Mieter ja nicht alle Künstler.

Das Rechenzentrum beherbergt nicht explizit nur Bildende Kunst. Das ist eine der größten Qualitäten des Hauses: dieser Mix. Für viele sind zehn Euro bezahlbar und für andere, die gerade anfangen oder sehr frei arbeiten, ist es schwieriger. Sie wollen nach dem Studium ihre Projektideen entwickeln und brauchen einen Raum. Eine Designerin hat es am Anfang auch erstmal schwer, ihren Markt zu finden. Oder ein Musiker: Wenn der einen Song schreibt, weiß er noch nicht, ob der gehört und gekauft wird, ob Konzertanfragen kommen. Er muss aber erst mal Zeit haben, Songs zu schreiben, oder eine Künstlerin Zeit, ein Bild zu malen. Ich würde mir wünschen, dass es Bereiche im Haus gibt, wo die Mieten günstiger sind.

Gibt es denn Solidarität untereinander?

Ja, durchaus. Es gibt Mieter, die sagen: Ich bin bereit, mehr als die 9,95 Euro zu zahlen, wenn ich Leuten das Bleiben hier ermöglichen kann. Wir diskutieren dieses Prinzip. Wir brauchen Entwicklungsflächen! Das Wort Start-up verkürzt es auf Wirtschaftlichkeit. Es geht auch um künstlerische Experimente.

Wie hoch ist derzeit der Leerstand?

Knapp 500 Quadratmeter, normale Räume und Lagerflächen. Viele befinden sich Richtung Baustelle. Da mit dem Wachsen des Turmes der Garnisonkirche Fenster aus Brandschutzgründen wohl zugebaut werden – wie genau und wann ist aber noch unklar –, lassen sich diese Räume schwer vermieten. Man weiß ja nicht: Kann ich in zwei Monaten hier noch aus dem Fenster gucken?

Was bedeutet dieses Kreativhaus inmitten der Stadt in Ihren Augen?

Mein Büro geht zur Dortustraße raus und ich sehe das Kommen und Gehen sehr unterschiedlicher Menschen. Kinder und Jugendliche gehen zum Tanz- oder Gitarrenkurs, geflüchtete Menschen zu Kunstprojekten und ins Erzählcafé. Die Kreativunternehmerinnen in ihre Studios und Ateliers. Das alles trifft sich hier. Es ist einer der wenigen Orte in der Mitte, der zugänglich ist, niedrigschwellig, mitten drin und sehr divers, mit viel Raum für Initiative. Wir sind kein Kulturhaus, das einen Etat für Programm hat. Alles, was hier an Aktionen stattfindet, kommt von den Leuten selbst oder wird aus den Mieten finanziert. So auch meine Stelle, die Homepage, gemeinsame Veranstaltungen.

Was sind die nächsten Schritte?

Im Herbst geht es ums Kennenlernen der neuen und alten Nutzenden, darum neu zu definieren, wie wir woran zusammen arbeiten wollen. Einige der ehrenamtlich Aktiven im Haus sind etwas erschöpft nach dem langen Ringen um die Nutzungsverlängerung. Sind ernüchtert davon, wie der Start des Prozesses zum Kreativquartier läuft, müssen Energien sammeln. Ab November geht es hier weiter.

Was passiert, wenn Anfang 2019 die ehemalige Rechnerhalle abgerissen wird?

Es muss geklärt werden, wie sich dann der Eingang gestaltet. Wir brauchen einen vernünftigen barrierefreien Zugang, ein Teil des Foyers soll stehen bleiben. Wir würden zudem gern an den einen oder anderen Stellen Sichtbeton im Haus freilegen, Räume weiter gestalten und sich weiter aneignen. Da ist noch viel Luft nach oben. Wir wünschen uns auch Bienen auf dem Dach. Schwierig sind die Einwände, die uns häufig von verschiedenen Seiten begegnen – das lohnt nicht, das geht sowieso nicht. Ich bin unbedingt dafür, viel auszuprobieren, Temporäres anzugehen, gut durchdacht klar, aber nicht sofort gebremst durch das Abwägen von Aufwand und Nutzen. Den Nutzen kennt man vorher nicht immer.

Da spricht die Frau, die in Potsdam mit „Localize“ für Überraschungseffekte im Stadtkanal oder in Abrisshäusern sorgte.

Hier muss man schon dickere Bretter bohren als beim Localize-Festival. Da waren wir ja nach fünf Tagen wieder weg. Aber ja, ein schöner Eingang, ein Gallery Shop im Foyer, Honig vom Dach – das sind ein paar der nächsten Ziele.

Und wie geht es 2023 weiter?

Vielleicht kann man ja doch das Haus oder Teile erhalten. 15 Prozent stehen auf dem Gelände der Stiftung Garnisonkirche, aber 85 Prozent sind in städtischer Hand. Über diese 85 Prozent sollte man noch sprechen, finde ich. Ich finde es eine riesige vertane Chance, dass in der Machbarkeitsstudie der Stadt für das Kreativquartier das Rechenzentrum nicht mit betrachtet wird.

Sie sind also für den Erhalt des Rechenzentrums trotz anderer Beschlusslage?

Der neue Oberbürgermeister sagte vor seiner Wahl, dass die Diskussion ums Rechenzentrum noch nicht zu Ende sei. Vielleicht wäre es möglich, neben der Kopie eines barocken Turmes ein ertüchtigtes Verwaltungsgebäude aus den 1970er Jahren stehen zu haben?! 17 Meter DDR-Geschichte neben 88 Meter barocker Rekonstruktion. Konzentrierter gehen Zeitgeschichte und -schichten nicht. Und im zwei Meter schmalen Spalt dazwischen, ein Gedenkort. Da reingehen und es aushalten: Das wünsche ich mir. Studierende der Fachhochschule entwerfen unter dem Titel „KunstKloster“ aktuell verschiedenste Varianten. Die Debatten sind hier keinesfalls zu Ende geführt.

Und der geplante Neubau an der Plantage wäre dann überflüssig?

Das Rechenzentrum in seiner Kleinteiligkeit deckt lange nicht alle Bedarfe an Flächen, Raumstruktur. Es fehlen Ausstellungs- und Präsentationsmöglichkeiten, Außenflächen, Durchlässigkeit nach außen, Gastronomie. Wenn man das Haus teilerhält, heißt das nicht, dass man keinen Neubau braucht.

Das Gespräch führte Heidi Jäger

ZUR PERSON: Anja Engel, geboren 1984 in Malchin, Studium Europäische Medienwissenschaft an Uni und FH Potsdam, Sängerin bei fosbury Flop,seit 2015 Kulturmanagerin Rechenzentrum, Stiftung SPI.

Heidi Jäger

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