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Kultur: Rebellion

„Kentaro!!“ und die Tokyo Electrock Stairs

„Mein Name ist Kohei. Und Kohei bedeutet Glück“, sagte der junge japanische Tänzer am Donnerstagabend in der „fabrik“. Und er sagte auch, das für ihn und die anderen fünf Mittänzer der Company Tokyo Electrock Stairs Tanzen Glück bedeutet. Aber das wäre fast nicht nötig gewesen, denn das sah und fühlte man die ganze halbe Stunde, die sie bis dahin mit ihrer Inszenierung „Send it, Mr. Monster“ gefüllt hatten.

Die drei Frauen und drei Männer stehen in grauen Hosenröckchen und in gelben Hosen, mit Pferdeschwänzen und fransigen Ponys auf der Bühne und wenn die einheitlichen schwarzen T-Shirts nicht diese sonderbare Aufschrift trügen, könnte man glauben, sie wären unbeschwerte Teenager. „Sayonara my shit life“ ist darauf gedruckt und der spielerische Eingangsreigen ist abrupt zu Ende, denn die Sechs kippen, wie durch Schüsse gefällt, einer nach dem anderen um.

Solche Brüche durchziehen musikalisch und tänzerisch die gesamte Choreografie, die Elemente des Hip-Hop, des Modern Dance und des Locking kreativ nutzt und sehr frei verarbeitet. Wer hier abendfüllend vor allem das HipHop-Genre erwartet hat, wird doch ein wenig enttäuscht, denn die spektakulären Elemente wie Drehungen auf Schultern und Köpfen oder das Verharren in eindrucksvollen Einarmpositionen, sind die Ausnahme.

Was diese aufstrebende japanische Company aber ausstrahlt, ist die Energie des Hip-Hop. Die sich klar als jugendliche Rebellion versteht und zumindest tänzerisch eine Gegenwelt zur als bedrückend empfundenen Gegenwart – zum Beispiel der japanischen Hierarchien und des Arbeitsethos – entwirft. Die vor drei Jahren gegründete Company zeigt, vielleicht für Mitteleuropäer etwas verrätselt, solche Gefühle. Und sie wünscht sich, wie Kohei in seiner Ansprache augenzwinkernd auf Deutsch sagte, dass die Zuschauer diese Gefühle verstehen mögen. Wenn nicht heute, dann eben morgen!

Davor und danach bewegen sich die Tänzer manchmal wie an Fäden hängende Puppen, dann wieder in ihren klar definierten Locking-Positionen, die dynamisch getanzt, und typisch für diese Richtung, „cool“ oder „comical“ herüberkommen. Locking-Bewegungskombinationen tragen oft Namen aus dem Cartoonbereich, was die Intention dieses Tanzes, der in den 60er Jahren in den USA entstand, nochmals unterstreicht. Ungewöhnlich ist, dass die gesamte Choreografie einerseits ungemein spielerisch und im nahezu gleichen Moment beinahe brutal wirkt.

Nach der Pause tanzt Kentaro, der multitalentierte Kopf der Gruppe ein Solo, das sich mit seinem tänzerischen Gewordensein auseinandersetzt. Anfangs in Anorak und weiter Jeans auf der Straße, noch tastend und ziellos, lassen ihn traditionelle japanische Klänge kraftlos erscheinen, während er zur Musik von James Brown „Get up, I feel like being a sexmachine“ virtuosen HipHop zeigt, mit flinken Füßen, fließend-schön, bevor er wieder an seinen Ausgangspunkt zurückkehrt. Doch das ist nur von kurzer Dauer, einmal von dieser Energie gepackt, kann er nicht mehr davon lassen. Er verschwindet zwar immer wieder auf der inzwischen sehr vernebelten Bühne, doch er kehrt zurück ins Rampenlicht und das Finale mit dem Regen aus bunten Schnipseln fühlte sich wie ein inzwischen wahrgewordenes Wunschbild an. Viel Applaus und Bravorufe der am Donnerstagabend leider nur wenigen Zuschauer. Astrid Priebs-Tröger

Wieder heute, 20 Uhr, und morgen, 16 Uhr, in der „fabrik“ in der Schiffbauergasse

Astrid Priebs-Tröger

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