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Kultur: Rebellion gegen den Reformator

Der Journalist Willi Winkler und die Philosophin Bettina Stangneth sprachen im Einstein-Forum über Luthers Judenhass und seine Selbstinszenierung

„Es geht heute nicht um das Lutherbuch“, erklärte Bettina Stangneth im Einstein-Forum am Freitagabend gleich zu Beginn. Gemeint war die Monographie „Luther, ein deutscher Rebell“ von Willi Winkler, die wie so viele andere zum diesjährigen Reformationsjubiläum erschienen ist. Vielmehr wolle sie sich mit dem Autor unterhalten und ihm Fragen stellen, die sie ihn noch nie gefragt habe, so Stangneth. Die Philosophin und Verfasserin des Buches „Eichmann vor Jerusalem“ teilt mit dem Autor und Journalisten das Interesse an Biographien – sei es als historische Um-Schreibung oder als präpotente Selbstinszenierung einer Person.

Da es ja nicht um das Buch als solches gehen sollte, hangelte sich das Gespräch wie bei einer Talkshow von einem Thema zum anderen. Es tauchten einzelne und durchaus interessante Puzzleteile aus Winklers umfangreicher Recherche auf, für die er sogar sein altes Schullatein wieder aufgefrischt habe, doch ein Gesamtbild ergab sich so nicht. Dafür blitzte einiges vom kritischen Geist des Schriftstellers auf, der bei der „Zeit“, dem „Spiegel“ und der „Süddeutschen Zeitung“ gearbeitet hat.

In seinem Buch stellt Winkler – nicht als Erster – den Anschlag der 95 Thesen am Tor der Wittenberger Schlosskirche in Frage. Hier begann eine der berühmtesten Luther-Legenden, die immer wieder gern und höchst fantasievoll in Bild und Schrift nacherzählt wurde. Als Beispiel gab es einen historischen Stich zu sehen, der übrigens auch als Mousepad erhältlich ist, auf dem Luther an das Schlosstor mit einer riesigen Feder schreibt, die gleichzeitig mitten durch den Kopf von Luthers Widersacher Papst Leo geht. Sie zeigt ihn als einen mutigen Mann, für den das Wort eine Waffe ist.

Schnell stellte Stangneth die Gretchenfrage: Warum ein Buch über einen erklärten Antisemiten schreiben? In seiner Antwort mäanderte Winkler von der Vertreibung der Juden aus Regensburg im Jahr 1519 und dem Hilferuf, den sie an Martin Luther geschrieben hatten bis hin zu psychoanalytischen Erklärungen von Luthers Judenhass. Dieser habe zwar das Schreiben der jüdischen Gemeinde voller Stolz bei seinen Tischgesprächen erwähnt, half ihnen aber nicht. Dabei habe Luther die Juden verehrt und sich zunächst auch gegen Judenvertreibungen gewandt, bevor er der größte Judenfeind wurde. Als Ursache dieser Wandlung komme eine narzisstische Kränkung Luthers in Frage, so Winkler, zugleich sei dieser Antijudaismus typisch für seine Zeit gewesen.

Wie gut der Reformator schon darin gewesen sei, sich selber für die Nachwelt zu inszenieren, konnte man an einigen Bildern sehen. Einziger offizieller Porträtist war Lucas Cranach der Ältere, ein Wittenberger Nachbar, der das erste und alle weiteren offiziellen Bilder von Luther anfertigte. Gleich nachdem Luther sich auf dem Reichstag zu Worms geweigert hatte, seine Ansichten zu widerrufen, setzte die Verklärung ein, sichtbar etwa an einem Holzschnitt von Hieronymus Hopfer, wo über Luthers Kopf der Heilige Geist schwebt – was einer Gotteslästerung schon ziemlich nahe kommt. Zur Inszenierung gehörte auch, dass Luther seinem Namen ein h hinzufügte, und die Bedeutung von dem griechischen Wort „Eleutheros“, der Freie, der Erleuchtete, herleitete. Als Philipp Melanchthon begann, die Tischreden seines Freundes Luther aufzuschreiben, setzte eine weitere Schicht der Verklitterung ein.

Für ihn sei die Frage, wie es möglich gewesen sei, dass „dieser unbedeutende Theologe an einer unbedeutenden Universität solch eine Revolution ausgelöst“ habe, der Ausgangspunkt gewesen, erklärt Winkler. In diesem rebellischen, streitlustigen Ton treffen sich der Autor und sein Objekt offenbar gut. Martin Luther möge doch endlich vom Papst heiliggesprochen werden, erklärt Winkler mit der ihm eigenen Chuzpe. Ohne ihn wäre die gesamte Kirche zusammengebrochen – und auch den ganzen Barock hätte es schließlich nicht gegeben.B. Kaiserkern

Lesung und Gespräch mit Willi Winkler und John von Düffel zum Thema „Mythos Luther“ im Rahmen von Lit:potsdam am Sonntag um 15 Uhr, Schloss Reckahn

B. Kaiserkern

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