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Talentierte Tüftler. Die Musiker von Potsdams innovativster Rockband Eat Ghosts arbeiten so lange an ihren Songs, bis alles stimmt. Das neue Album brauchte vier Jahre.

© Promo

Kultur: Rausschmiss und Record Release

Neues Album, neuer Name, kein neuer Proberaum: Die Potsdamer Progressive-Rockband Eat Ghosts spielt morgen im Kuze

Das neue Jahr beginnt für die Potsdamer Progressive-Rockband Eat Ghosts mit einer guten und einer schlechten Nachricht. Die gute ist, dass die Band am Samstag mit einem Konzert im studentischen Kulturzentrum Kuze das offizielle Release ihres zweiten Albums „An Ti E Go“ feiert, das bereits im September erschienen war – ein ebenso swingendes wie komplexes Gemisch aus Psychedelic und Jazzrock, das bei Musikmagazinen wie „Eclipsed“ oder „Gitarre & Bass“ gute Kritiken abräumte. Die schlechte ist, dass eine von Potsdams innovativsten Bands zum ersten Januar aus ihrem Proberaum in der Ahornstraße geflogen ist – zusammen mit etlichen anderen Musikern, die nun händeringend nach einer neuen Bleibe suchen.

Eat Ghosts hatten Glück: Da sie zum Potsdamer Musikkollektiv Brausehaus gehören, sind sie vorerst im Proberaum der befreundeten Band Conium in der Geschwister-Scholl-Straße untergekommen. Dumpfe Schlagzeug- und Gitarren-Sounds sind hinter der unscheinbaren Kellertür zu hören, wo Eat Ghosts am Mittwochabend für den Auftritt am Samstag proben. Dahinter befindet sich ein kleiner, fensterloser Raum, nichts für Klaustrophobiker: Rund um eine Betonsäule stehen dicht gedrängt zwei Schlagzeuge und Dutzende Gitarren, auf dem Boden liegen Effektpedale, an den Wänden türmen sich Boxen bis unter die niedrige Decke, an der diverse Wasserrohre verlaufen – jeder Zentimeter des rund 40 Quadratmeter großen Raumes ist voll ausgenutzt.

„Vom Platz her ist es schwierig“, räumt Bassist und Sänger Enrico Semler ein. „Wir können einen Teil unseres Equipments nicht nutzen und für ein entspanntes Arbeiten braucht man natürlich einen Raum, wo man nicht jedes Mal alles wieder auf- und abbauen muss.“ Trotzdem sind sie sehr dankbar für die jetzige Zwischenlösung, betont Schlagzeuger Martin Mann: „Immerhin haben wir eine Alternative, und das hat nur funktioniert, weil wir als Brausehaus ein Kollektiv sind.“ Semler stimmt zu: „Es ist zwar nur eine mittelfristige Lösung, aber andererseits ist es auch sehr heimatlich, weil wir damals hier in Potsdam-West gestartet sind.“

Damals, das war 2008, als sich Minerva gründete – erst 2017 erfolgte der Namenswechsel zu Eat Ghosts. Als Minerva brachten Semler, Mann, Gitarrist Jan Waterstradt und Saxofonist Benjamin Ihnow 2013 ihr Debütalbum „Germinal“ heraus, ein waschechtes Progressive- Rock-Konzeptalbum über die industrielle Revolution, das sogar als Mischung aus Konzert und Theaterstück aufgeführt wurde. Im Laufe der Jahre etablierte sich die Band zu einem der spannendsten Akteure in Potsdams überaus lebendiger Underground-Rockszene.

Warum es so lange bis zum zweiten Album gedauert hat, ist schnell erklärt: Eat Ghosts sind Perfektionisten. „Wir tüfteln so lange an einem Song herum, bis wir alle zufrieden sind“, sagt Waterstradt. Außerdem sind die Mitte 20-Jährigen alle parallel in Ausbildung, Beruf und Studium unterwegs. Das Ergebnis kann sich hören lassen: „An Ti E Go“ führt den jazzigen und von Improvisationen getriebenen Stil des Debüts fort, ist allerdings fokussierter und mehr auf den Punkt gespielt. „Man wippt jetzt vielleicht schon beim ersten Hören der Songs mit dem Fuß, nicht erst beim zweiten oder dritten“, sagt Semler.

Parallel zum Album machten Eat Ghosts namenstechnisch einen Neustart: „Minerva ist eine griechische Gottheit – das hatte immer einen leicht pathetischen Unterton“, sagt Semler. Die Band fühlte sich mit dem alten Namen nicht mehr wohl, wollte weg von verkopften Progressive-Rock-Konzepten: „Wir wollten die Songs neu denken“, so Semler. Außerdem gibt es weltweit Dutzende anderer Bands namens Minerva, sodass man die Potsdamer im Internet kaum fand. Bei Eat Ghosts ist das anders.

Normalerweise kommt ja zuerst das Record-Release-Konzert und danach die Tour. Eat Ghosts machten es umgekehrt, wenn auch ungeplant: Dank einer Booking Agentur spielte die Band als Support von Wucan im Herbst 2017 insgesamt 13 Konzerte in ganz Deutschland. Leider lagen die Termine so, dass man es nicht mehr schaffte, vorher noch ein Konzert in Potsdam einzuschieben. Die Tour – die längste, die Eat Ghosts bislang absolviert haben – führte die Band von Ulm über Münster bis Hannover, Dresden, Kiel, Leipzig und Berlin. Unterm Strich eine gute, aber auch stressige Erfahrung, denn während der Tour schwebte ständig der Verlust des Proberaums über den Köpfen der Musiker: „Das hat uns viel Zeit und Hirnschmalz gekostet“, sagt Semler. Den rund 30 Bands und Musikprojekten im Proberaumkomplex in der Ahornstraße war im September gekündigt worden, einige hatten daraufhin ein Verlängerungsangebot erhalten – mit rund 70 Prozent höherer Miete.

Für Eat Ghosts unbezahlbar. Das Brausehaus veröffentlichte daraufhin einen offenen Brief an die Stadt, in dem das seit Jahren zu beobachtende Proberaumsterben kritisiert wird. „Es gibt einfach keine bezahlbaren Räume in Potsdam“, so Semler. „Die Preise sind für junge Bands nicht tragbar und für startende Musiker, die kein nennenswertes Einkommen haben, sowieso nicht.“ Auch die Proberaum-Container in Rehbrücke seien für sie keine Alternative, so Mann: „Die sind sehr klein und dafür sehr teuer. Außerdem müssten wir die Container komplett selber ausbauen.“ Für die Band ist klar: „Es liegt in der Hand der Stadt, Raum zu schaffen für ihre Kreativen, die so eine Stadt ja auch attraktiv machen“, sagt Semler. Wie sehr das zutrifft, davon kann sich morgen im Kuze jeder selbst überzeugen. Erik Wenk

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