zum Hauptinhalt
Künstler beim Betriebsausflug. Das Bild entstand bei einem Ausflug der Band Sandow in den Spreewald.

©  promo/M. Cucera

Kultur: Raus aus der Behaglichkeit

Sie sangen „Born in the GDR“ und lieben Werkzeuge. Heute Abend spielt Sandow in Potsdam

Sie hatten viel Spaß bei der Fotosession. Sie waren nackt, schmierten sich mit rotem Lehm ein und robbten durchs Gelände. Im Spreewald war das, bei einem Betriebsausflug von Sandow, um neue Bandfotos zu machen. Von den Bildern waren alle etwas überrascht. „Da ist nichts gestellt“, erzählt Chris Hinze, Gründer und Gitarrist der Band, die es jetzt, wenn auch mit einer kurzen Unterbrechung, seit 35 Jahren gibt. Mit der Schmiere auf den Körpern wurden sie alterslos, und verfielen fast zwanghaft in ein Rollenspiel. „Plötzlich waren wir eine Buschmanntruppe und begannen über Evolution nachzudenken“, sagt Hinze und grinst – beim Cappuccino in einem Potsdamer Café.

48 bis 52 Jahre sind die vier Gründungsmitglieder heute, die seit 2005 wieder Sandow sind: Kai-Uwe Kohlschmidt, Sänger, Gitarrist und Texter; Gitarrist Chris Hinze, Tilman Berg am Schlagzeug und Tilman Fürstenau an Bass und Cello. Auf ihrer Tour spielen sie vor allem neue Stücke. Mit etwas verändertem Klang. „Vielleicht geht das Publikum ja den Weg mit uns – das verändert sich ja auch.“

Ihr Weg begann in Cottbus. Kohlschmidt und Hinze wohnten im namensgebenden Stadtteil Sandow und gründeten eine Schülerband, da waren beide 13 Jahre alt. Sie coverten Trio, bevor sie eigene Songs schrieben, und probten reihum in den Wohnungen der Bandmitglieder. Die Nachbarn regten sich immer auf, aber nach vier Wochen hatten die ersten das schon wieder vergessen, erzählt Hinze. Nein, viel nachgedacht haben sie damals nicht, wie das gehen sollte. Wo sie Instrumente herbekommen würden. „Ich habe einfach einen Tonabnehmer an eine Wandergitarre geklebt.“

Die Lust am Experimentieren blieb. Hinze zog es zur Malerei und Bildhauerei. Er hat ein großes Atelier in der Ziegelmanufaktur Glindow. Hinze braucht Platz zum Arbeiten. Auch in der Band ist er für das Klanglabor zuständig. Hantiert mit Benzinkanister und Flex, nimmt Presslufthammer und Kirchengeläut auf – fürs Klangarchiv. „Wir machen das alles selber, da wird nichts aus dem Netz runter geladen“. Sie sind Musikarbeiter, Komponisten, Sprachbastler. Wenn’s sein muss, findet sich in den Textern auch Latein. Hinze sagt aber auch: „Uns interessiert, wenn es etwas schmutziger wird.“

In den Jahren von 1999 bis 2005, als sie pausierten, spürten sie, dass ihnen Musik und auch Freundschaft fehlten. Irgendwann traf man sich, bei Freunden Backstage, klimperte ein wenig herum. Einer sagte den unvermeidlichen Satz: Wollen wir nicht mal wieder was probieren? Vier neue Platten haben sie seitdem produziert. „Entfernte Welten“ heißt das aktuelle Doppelalbum. Die erste Platte nahmen sie noch in der DDR auf, aber dann, sagt Hinze, hielt man sie zurück, aus vorgeschobenen politischen Gründen. Erst 1990 lag sie im Regal. Dabei sei Sandow gar nicht so politisch gewesen, auch wenn damals „Born in the GDR“ ihr größter Hit war. Sie wollten Kunst machen, wurden aber, weil sie eben anders waren, zu den sogenannten Anderen Bands der DDR gezählt. Zu den unangepassten. Aber Punks seien sie nie gewesen. „Wir waren New Romantics, vielleicht waren wir auch Popper“, sagt Hinze. Vor allem haben sie sich immer wieder neu erfunden, bis heute. „Wir wollen raus aus der Behaglichkeit.“ Behaglich ist es ihnen auf der Bühne dennoch. „Der Moment, wenn du auf die Bühne gehst, der ist mit nichts einzutauschen. Das ist wie eine Sucht.“ S. Pyanoe

Heute Abend um 20 Uhr im Waschhaus, Karten kosten 22 Euro

S. Pyanoe

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false