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Nachdenklich. Der Theologe Johannes Lepsius.

© Württembergische Landesbibliothek

Kultur: Protestant in der Sackgasse MMZ-Historiker: Lepsius kein Antisemit

„Für Populismus und Antisemitismus war Johannes Lepsius’ Horizont einfach zu groß“, sagt Olaf Glöckner vom Moses Mendelssohn Zentrum Potsdam (MMZ). Zusammen mit dem Historiker Hans-Lukas Kieser von der Universität Zürich und dem Rechtswissenschaftler Manfred Aschke von der Universität Gießen diskutierte Glöckner die Frage, ob der Theologe und Gründer des armenischen Hilfswerks Johannes Lepsius ein Antisemit gewesen sei.

„Für Populismus und Antisemitismus war Johannes Lepsius’ Horizont einfach zu groß“, sagt Olaf Glöckner vom Moses Mendelssohn Zentrum Potsdam (MMZ). Zusammen mit dem Historiker Hans-Lukas Kieser von der Universität Zürich und dem Rechtswissenschaftler Manfred Aschke von der Universität Gießen diskutierte Glöckner die Frage, ob der Theologe und Gründer des armenischen Hilfswerks Johannes Lepsius ein Antisemit gewesen sei. Diese Behauptung stellte die Linkspartei in einer Anfrage im Bundestag vom 7.07.2008 auf und brachte damit das Lepsiushaus, das mit Bundesmitteln gefördert wird, in Bedrängnis.

Die unbestrittenen Verdienste Lepsius bei der Rettung unzähliger Armenier vor dem Völkermord treten nach Ansicht „der Linken“ hinter Äußerungen und Geschichtsklitterungen von Seiten Lepsius zurück. Der Theologe habe das jüdische Volk als „Parasit“ und die Bolschewiki in Russland als „jüdische Mongolenherrschaft von Lenins goldener Horde“ bezeichnet. Insgesamt ergebe sich ein Bild von Lepsius, das ihn als Antidemokrat, Antisemit und Befürworter eines Großdeutschen Kaiserreichs zeige.

Dieser Sicht auf den Theologen widersprachen die Podiumsteilnehmer im Lepsiushaus deutlich. Lepsius sei vor seinem zeithistorischen Hintergrund zu beurteilen, betonten die beiden Historiker. Das deutsche Kaiserreich habe versucht, innenpolitische Probleme mit einer aggressiven Außenpolitik zu überspielen und habe Minderheiten wie Juden und Sozialisten den „schwarzen Peter“ für innenpolitische Missstände zugeschoben. Der „urbane Jude“ habe im Kaiserreich generell als „gesellschaftlicher Blitzableiter“ fungiert. Hiervon seien auch die gebildeten Oberschichten, denen Lepsius entstammte, nicht frei gewesen.

Zum Freundeskreis des großbürgerlichen Elternhauses von Lepsius und zu seinem eigenen Freundeskreis hätten stets auch Juden gezählt, konstatierte Glöckner. Unter anderen sei der amerikanisch-jüdische Diplomat Henry Morgenthau senior ein persönlicher Freund gewesen, gute Kontakte habe Lepsius zu Albert Einstein gehabt. Glöckner wies auch darauf hin, dass Theodor Herzl Lepsius als Ehrengast zum ersten zionistischen Weltkongress einlud, der 1897 in Basel stattfand und letztlich das Ziel hatte, den Juden in Palästina eine neue Heimat zu ermöglichen. Die Historiker betonten, dass Lepsius die deutsche Politik vor dem Ersten Weltkrieg verklärt habe, aggressiv antisemitisch sei er aber sicher nicht gewesen. Zu dem Zeitpunkt, als er die Äußerungen machte, seien maßgebliche persönlichen Perspektiven von Lepsius bereits zusammengebrochen.

„Das Bild des Parasiten gebraucht Lepsius als Theologe, der den heilsgeschichtlichen Plan Gottes betrachtet und fragt, wer diesen durchsetzen könne“, stellt Glöckner fest. In dem entsprechenden Brief vom 2. Dezember 1922 fiel die Formulierung gegenüber seinem Studienfreund Albert Weckesser. Damit habe Lepsius vornehmlich deutlich machen wollen, dass die Juden in den vergangenen Jahrhunderten zu schwach gewesen seien, ein eigenes Territorium zu behaupten, nicht aber, dass es eine „schädliche Wirkung des jüdischen Volkes auf das deutsche Volk gebe“. Zudem sei der Begriff des „Parasiten“ erst durch die nachfolgende Geschichte und den Sprachgebrauch der Nazis in seiner gegenwärtig hochproblematischen Weise geprägt worden.

Als sich Lepsius 1924 in einer Zeitschrift negativ über die Bolschewiki äußerte, habe sein Schwiegersohn bei ihm gewohnt, der aus unmittelbarer Anschauung aus Russland berichtete und von dort hatte fliehen müssen, bemerkte eine amerikanischen Historikerin. Aus Russland seien viele Briefe auch von dort verfolgten Christen eingetroffen. Zudem sei das Zerrbild des „hemmungslos provokativen Juden“, der als bolschewistische Gefahr Deutschland „überfremdet“, schon seit Jahrzehnten an die Wand gemalt worden, erklärt Glöckner. „Zu dem Zeitpunkt war Lepsius ein Protestant in der Sackgasse. Vor dem Antisemitismus bewahrte ihn aber seine Verantwortung für die Armenier und sein Glaube an das Evangelium“, resümiert Kieser. Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

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