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"In den Gärten oder Lysistrata Teil 2" von Sibylle Berg in der Potsdamer Regie von Anna-Elisabeth Frick.

© Thomas M. Jauk

Premiere von Sibylle Berg am Hans Otto Theater: Hallo, Glied!

Vom Vorspielgarten bis zum Missionarsgarten: Sibylle Berg nimmt in "In den Gärten oder Lysistrata 2" die Paarungsrituale einer übersexualisierten Gesellschaft aufs Korn. In gewohnt grellen Farben.

Potsdam - Wie wird man dereinst auf unsere Epoche des hyperdigitalen, übersexualisierten Turbokapitalismus zurückblicken? In „In den Gärten oder Lysistrata2“, dem Stück, das am Freitag in der Reithalle Premiere feierte, hat Sibylle Berg eine satirisch messerscharf zugespitzte Antwort darauf gefunden. Kurz gesagt lautet sie: als Frau. Männer, so der Ausgangsgedanke dieses Stücks von 2019, werden künftig nicht mehr gebraucht. Sie sind ausgestorben.

Der letzte Überlebende des alten Systems

Oder fast. Denn einen gibt es noch in der steril gekachelten Welt, die wir hier betreten (Bühne Mariam Haas, Martha Pinsker). Er, der „momentan letzte Überlebende des alten Systems“, heißt Bernd. Wie das Brot aus dem Kinderkanal Kika. Und ungefähr so vieldimensional ist er auch – auch wenn er in der Potsdamer Regie von Anna-Elisabeth Frick chorisch (Philipp Mauritz, Henning Strübbe, Paul Wilms) daherkommt, und im Einheitslook: schwarzer Pony, schwarze Hose, nackter Oberkörper. 

Eine Mischung aus Playboy, Tempeldiener und Sextoy. Erst wollen die Bernds nur Geschlechtsverkehr, später ihre Ruhe und Bierchen. Bernd, das vielköpfige Artefakt einer überkommenen Welt, in der es mal zwei Geschlechter und jede Menge Ärger gab, lebt hier in einer Art Zoo – in den titelgebenden Gärten. 

Er hat die Geschichte der Welt geschrieben

Hier kann Bernd besucht, beguckt, bestaunt werden von den Frauen der Zukunft (Laura Maria Hänsel, Janine Kress, Franziska Melzer). Sie alle tragen knielanges blondiertes Haar und bodenlange Kleider mit Vagina-Motiv – passend zu den Kacheln an der Wand (im Foyer gibt es die Sticker dazu). 

Auf dem Tor zum vaginabekachelten Inneren sind Adam und Eva zu sehen – drinnen dann zwei Evas. Ein kindlicher Bildschirm-Avatar gibt in schönstem Monoton-Sprech den Reiseführer. Bernd sagt eingangs zu den Besucherinnen: „Ja, da staunen Sie, meine Damen, ich bin ein Mann“. Und: „Ich habe die Geschichte der Welt geschrieben.“ Und: „Wir haben ein Glied.“ Die Damen lächeln ironisch und sagen: „Hallo, Bernd!“. Und: „Hallo, Glied!“

Unbequemer Ritt durch obsolete Paarungsspiele

Das Stück ist ein unbequemer, aber sehr unterhaltsamer Ritt durch die verschiedenen Stadien des im Stück obsoleten Paarungsspiels – katastrophal jedes einzelne. Vom ahnungsvollen, von Ehrgeiz und Gefallsucht geprägten „Vorspielgarten“ geht es in den „Liebesgarten“, der alles andere ist („Verliebtsein senkt den IQ um 30 Punkte“), den „Prä-Sexgarten“, in dem die Frau vom Sitz auf der Bank träumt und der Mann vom Ritt auf der Frau. Der „Missionarsgarten“ ist vielleicht noch schlimmer, was bei Sibylle Berg heißt: lustiger. Reime helfen dabei: „Das ist der Sex seit tausend Jahren/ so sieht er aus, so geht das hier/ Die Frau, sie scheint schon eingeschlafen/ der Mann verwirklicht sich in ihr.“

Dann ist es auch schon vorbei mit dem Sex, zur Erleichterung beider Seiten. Es folgt der Erwachsenengarten („Hier ruft die Gartenarchitektur: Spaß beiseite“) und, so krönender wie jammervoller Abschluss, der „Kindergarten“. Hier werden die Männer immer dicker, bleiben beim Baby und gründen Männergruppen – die Frauen werden immer arbeitsamer und kommen als drohende Furien nach Hause, um Sauberkeit und Abendessen zu prüfen. 

Die Frauen ziehen das Ding alleine durch

Da gehen die Männer aus Protest in den Sex-Streik. Spaßiger Verweis auf die Lysistrata-Figur bei Aristophanes: In der antiken Komödie verweigern die Frauen den Verkehr und beenden so den Peloponnesischen Krieg. Und bei Berg? Merken die Frauen nicht einmal, dass es einen Streik gibt. Sie übernehmen einfach den Laden. Den Betonmischer auf der Bühne können sie auch selber schleppen. „Wir ziehen das Ding durch.“

Anna-Elisabeth Frick inszeniert all das nicht als vordergründige Hau-drauf-Komödie, was einfach gewesen wäre. Bergs beißenden Witz im Versmaß lässt sie teils so saftig ausagieren, dass es einem die Lachtränen in die Augen treiben will. Und doch: Teils vermittelt das Stück als Theatererlebnis auch, worauf der Text selbst womöglich abzielt: Wo ein ebenbürtiges Gegenüber fehlt, wird’s monoton. 

Elegische Momente und ein Betonmischer

Vielleicht deshalb setzt die Regie auch elegische Momente zwischen Bergs Dialog- und Verssalven. Da schreiten die sechs Spieler:innen stumm, mit rätselhaften Bewegungen (eine Raute, eine Waage?), den Raum ab. Schicksalhafte Rhythmen hämmern dazu. Nein, „Frauen an die Macht“ allein dürfte wohl keine Lösung für die Probleme sein, die dieser Abend in grellen Farben aufzeigt. So leicht ist die Sache nicht, der Betonmischer kündet von mehr Arbeit.

Wieder am 19. und 26.12., 9.1. und 16.1. in der Reithalle des Hans Otto Theaters

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