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Schattenspiele. Erzählung in schwarz- blau-weißen Schattenbildern.

© Promo

Premiere im T-Werk Potsdam: Petermanns letzte Nachtfahrt

Eine poetische Reise ins Innere älterer Menschen.

Potsdam - „Was? Noch ’ne Schicht?“ echauffiert sich Altenpflegerin Edith lautstark gleich zu Beginn des Stückes „Der Morgen kann warten“ vom Theater Handgemenge. Das Stück hatte am Freitag im T-Werk Premiere. Die Berliner Figuren- und Objekttheatergruppe hat sich einer Thematik zugewandt, die auf den ersten Blick so gar nicht in ihr Repertoire zu passen scheint. Anstatt Figurentheater nach der Nibelungensage nun den Pflegenotstand im Altenheim thematisieren? Doch was auf den ersten Blick als (zu) prosaisch beziehungsweise beinahe aktuell-politisch anmutet, entpuppt sich auf den zweiten als wunderbar poetische Reise in die Innenwelt älterer Menschen, die – wie der fantasievolle Herr Petermann – ihre letzte Heimstatt in einem Pflegeheim gefunden haben.

Hier treibt der alte Herr die Nachtschwestern regelmäßig zur Verzweiflung, weil er sich partout nicht an die rigiden Vorgaben zu den Schlafenszeiten halten will beziehungsweise kann. Denn Petermann hat in der Dunkelheit Angst zu sterben. „Wenn ich morgen früh aufwache, bin ich tot“, so seine feste Überzeugung.

Und so hält sich der agile Alte (Peter Müller), der, statt isoliert in einem Heim unter seinesgleichen zu leben, noch jede Menge erleben will, jede Nacht mit Erinnerungen an sein längst vergangenes Leben wach. Schwester Edith hingegen, die robust-pragmatisch von Susi Claus verkörpert wird, schläft nach ihrer ersten Schicht und dem vergeblichen Ringen mit Petermann einfach total übermüdet ein.

Während die pointierten Pflegeheimszenen vor der kleinen Guckkastenbühne spielten, findet das, was sich anschließt, als Schatten- und Objekttheater in wunderbaren schwarz-blau-weißen Schattenbildern dahinter statt. Denn Petermann nutzt die Gelegenheit, stibitzt der eingeschlafenen Nachtschwester den Haustürschlüssel und macht sich mit seinem propellerbetriebenen Metallbett auf seine – wahrscheinlich letzte – Reise.

Spätestens hier verlässt die Inszenierung den Gestus der Zustandsbeschreibung der heutigen (unwürdigen) Pflegeheimsituation und kreiert eine wunderbare Utopie: Was wäre, wenn wir den Alten einfach zuhören und sie auf ihren (letzten) Wegen empathisch begleiten? Schwester Edith tut genau dies als „Frau Mond“ und unterstützt Petermann auf seinen wundersamen (Erinnerungs-)Wegen.

Sie ist hilfreich zur Stelle, wenn er mit seinem rollenden Metallbett an einer Straßenlaterne landet oder zaubert locker einen 13er-Schlüssel aus der Tasche, wenn der ramponierte Propeller am Bett gerichtet werden muss. Sie, die das halbe Leben noch vor sich hat, erfährt hier etwas über Sehnsüchte, Wünsche, aber auch Ängste alter Menschen. Und kommt aus ihrer übergeordneten Aufsichtsrolle auf Augenhöhe mit dem, den sie eigentlich betreuen, sprich maßregeln soll.

In der einstündigen Inszenierung wird das mit wunderbar detailverliebten Bildern gezeigt, die man genau wie die tiefsinnig-reduzierten Texte gern in Buchform in den Händen halten würde. Schön auch die Szene, in der Petermann sagt, dass er schon als Kind nicht schlafen konnte, weil er unbedingt schnell erwachsen werden wollte. Diese Bögen zwischen Lebensanfang und -ende schlägt die Inszenierung wunderbar leicht und spielerisch.

Insgesamt besticht „Der Morgen kann warten“ mit viel Liebe zum Detail, jeder Menge Humor und Sprachwitz. Die Inszenierung ist im Schattenspielteil wunderbar schwebend in ihren Aussagen und kann an einigen Stellen auch das „erwachsene“ Pendant zu „Der kleine Häwelmann“ gelesen werden. Von ihrer lebenslustigen Intensität erinnert sie hingegen vielmehr an den Kusturica-Film „Schwarze Katze, weißer Kater“. 

Astrid Priebs-Tröger

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