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In August Strindbergs "Der Pelikan" spielt Kirsten König (l.) Axel, Barbara Schaffernicht (r.) ist Mutter Elise. 

© A. Macnaughton

Premiere im Potsdamer Kunsthaus sans titre: Was es bedeutet, Mutter zu sein

Das Potsdamer Ensemble LX zeigt im Kunsthaus sans titre August Strindbergs „Der Pelikan“ - und denkt dessen etwas angestaubten Diskurs zur Mutterschaft ins Heute weiter.

Potsdam - Es ist ja immer so eine Sache mit der Übertragung alter Bühnendramen ins Jetzt: Werden Geschichte, Sprache und Szenerie allzu sehr in die heutige Zeit gezerrt, kann eine Verknüpfung mit der Gegenwart gewaltig schiefgehen. Auf das vom Ensemble LX aufgeführte Stück „Der Pelikan“ von August Strindberg, das am 25. September Premiere im Kunsthaus sans titre feierte, trifft das zum Glück nicht zu. Das liegt unter anderem daran, dass die Sprache des schwedischen Dramatikers erstaunlich modern wirkt - und Familientragödien ja oft per se zeitlos erscheinen. 

Prolog zur Mutterschaft: größtes Glück oder böse Mutter?

Was die Aufführung im Kunsthaus aber vor allem interessant macht, ist dass die Figuren nicht einfach so stehengelassen werden, wie im Jahr 1907 von Strindberg entworfen. Regisseur Richard Jourdant stellt dem Stück im minimalistischen Bühnenbild einen Austausch zum Thema  Mutterliebe voran: Zu Beginn unterhalten sich die vier Schauspielerinnen des Ensembles - noch nicht in ihre Rollen eingetaucht - über ihre Kinder. Von größtem Glück reden sie, aber auch von den Erwartungen anderer. „Du bist gar keine richtige Mutter“ heißt es da zum Beispiel über eine, die nicht immer zu Hause ist und kocht und putzt. Geschichten über „böse Mütter“ werden daraufhin ausgetauscht, wobei einer der Frauen „Der Pelikan“ einfällt. Jetzt verdunkelt sich das Bühnenbild, die Frauen erstarren und die eigentliche Aufführung beginnt.

"Der Pelikan" mit Barbara Schaffernicht als Mutter Elise.
"Der Pelikan" mit Barbara Schaffernicht als Mutter Elise.

© A. Macnaughton

Eine lügende Mutter, rachedurstige Kinder

Worum geht es bei Strindberg? Nach dem Tod des Vaters kommt Mutter Elise (Barbara Schaffernicht) mit ihren erwachsenen Kindern Fredrik (Gudrun Libnau) und Gerda (Monika Seebohm) im bürgerlichen Wohnhaus zusammen. Gerade erst hat Gerda Axel (Kirsten König) geheiratet - ohne zu ahnen, dass dieser ein Verhältnis mit Elise hat. Und noch mehr ist im Argen: Fredrik ist ständig betrunken. Nach und nach erfährt man, dass Elise ihren Kindern immer gutes Essen vorenthalten hat, genauso wie Feuerholz für warme Zimmer. 

Die Kinder scheinen das zunächst nur zu ahnen, aber nicht wahrhaben zu wollen. So wie Elise selbst auch nicht: Sie sieht sich als „Pelikan“, der symbolisch für aufopfernde Mutterliebe steht. Nach altertümlicher Vorstellung ernährt er seinen Nachwuchs mit seinem Blut. Ein Brief des Vaters an Fredrik, der bei der Suche nach einem Testament auftaucht, bestätigt die Kinder in ihren Ahnungen, woraufhin sie einen Racheplan schmieden.

Und Strindbergs schwieriges Verhältnis zu Frauen? 

Um die Bedeutung des Prologs für die Geschichte zu verstehen, hilft ein Blick auf Strindbergs Verhältnis zu Frauen. Dieses bezeichnen vor allem männliche Stimmen in der Literaturwissenschaft oft wohlwollend als kontrovers; feministische Bewertungen fallen da durchaus schärfer aus. Tatsache ist, dass Strindberg entschiedener Gegner der Gleichberechtigung von Mann und Frau war und den „natürlichen“ Platz der Frauen in der Mutterrolle sah.

Doch genau das wird mit der Aufführung des Ensembles LX erfrischend in Frage gestellt. Hervor tritt etwa die Rolle Axels (überzeugend überheblich von Kirsten König gespielt), der nach der Hochzeit mit Gerda wie selbstverständlich als neuer Herr im Haus auftritt. Setzt er sich in den Schaukelstuhl des verstorbenen Vaters, gruselt sich Elise: „Wie der Alte!“. 

Dem Bösen kann niemand entkommen

Was beim Dramatiker als Herstellung einer Ordnung im Haus gesehen werden kann, führt hier eher dazu, dass sich der Zuschauer fragt, warum die Mutter so wurde, wie sie ist - und warum nur ihre Fehler, nicht aber die des Vaters verurteilt werden. Haben die Kinder wirklich das Recht, sie zur Hexe zu machen, bildlich untermauert dadurch, dass sie immer wieder Brennholz nach ihr werfen? 

Zwar gibt es keine Zweifel an dem Leid der Kinder auch in dieser Version; doch bricht das Ensemble mit der schwarz-weißen Auffassung von Gut und Böse. Letzterem kann bei Strindberg am Ende niemand entkommen. Jourdant lässt Elise auf dem symbolischen Scheiterhaufen, der die Bühne am Ende wird, selbstbewusst das Lied „My Way“ singen und provokant die Frage stellen: „Kann es sein, dass es die Mutterliebe gar nicht gibt?“ Dem Ensemble LX gelingt damit eine spannende Version des „Pelikans“, die eine zeitgemäße Diskussion über das Muttersein anregt, ohne den Respekt vor Strindbergs Schaffen zu verlieren. 

Andrea Lütkewitz

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