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Premiere im HOT Potsdam: Das Sterben braucht keinen Rollstuhl

Die Jugendtheaterpremiere von „Wie man unsterblich wird“ in der Reithalle des HOT ist berührend und unsentimental. Das Stück nach einem Roman der britischen Autorin Sally Nicholls, erzählt die Geschichte zweier unheilbar kranker Kinder, die bald sterben werden.

Der Rollstuhl auf der Bühne ist nur Requisite, ein beinahe plumpes Symbol für eine Behinderung, als könnte man den zwei Jungen anhand eines Gerätes ansehen, dass sie todkrank sind. Aber Leukämie ist nach außen hin unsichtbar: Das Sterben benötigt keinen Rollstuhl. Praktisch ist das Gefährt dennoch: „Die Mitleidstour funktioniert immer“, grinst Felix (Frédéric Boissier), nachdem er damit über die Bühne gekurvt ist. Die britische Autorin Sally Nicholls hat die Geschichte von Sam und Felix 2008 in ihrem Roman „Ways to live forever“ erzählt, auf Deutsch ein wenig sperriger: „Wie man unsterblich wird. Jede Minute zählt“. Am Dienstagabend hatte das Theaterstück dazu Premiere im Hans Otto Theater.

„Statistisch gesehen sind wir ein Griff ins Klo“, konstatiert Felix. Zwei unheilbar kranke Kinder, die auf den baldigen Tod zusteuern. Oder wie Sam (Jonas Götzinger) es formuliert: „Bestrahlt werden, kotzen, und ab und zu kommt ein Clown.“ Dabei hat man doch noch so viel vor: Rauchen. Trinken. Mädchen küssen. Einen Weltrekord aufstellen. Ein berühmter Erfinder werden. Einen Horrorfilm ab 18 sehen. Viel Zeit bleibt nicht für diese To-do-Liste. Am Ende wird sie abgehakt sein – die beiden aber auch.

Das bisschen Tod darf nicht das Ende des Lebens sein

Felix stirbt nämlich – „Erster!“ – knallhart, und natürlich ausgerechnet zum Zeitpunkt des Ansherzwachsens, eine intensive Zäsur in einer Geschichte, die so viel letalen Esprit trüge, wenn doch nur der Tod nicht wäre. „Auf der Bühne wird andauernd gestorben“, sagt Felix. Alle sterben irgendwann. Manche nur eben früher. Regisseur Fabian Gerhardt hat diese melodramatische Geschichte zweier sterbender Fast-Teenager souverän-vergnügt inszeniert, weil er um die potenziell triefende Tragik der Geschichte wusste: keine Effekte, nur das Vertrauen in die infantile Naivität seiner Darsteller. Dass es eigentlich um Sam geht und nicht um Felix, das geht in Boissiers krachiger Überpräsenz fast unter, der Zappelphilipp Felix ist nun mal unverbesserlicher Fatalist, hyperaktive Großklappe – Sympathieträger. Götzingers Sam wirkt da zunächst blass. Seine Stärke liegt in einer zerbrechlichen Intensität, die er erst nach Felix’ Tod ausleben kann. Matthias Müllers Bühne sieht kaum Requisiten vor, nur pastellgrüne Krankenhausvorhänge. Den Rest besorgt Marc Eisenschinks reduzierter Elektro-Sound.

Die Stärke des Stückes ist die hartnäckige Verweigerung der Angst, die adoleszente Ausklammerung der Trauer, die am Ende unwirsch von der Realität eingeholt wird. Da haben sich die Figuren längst mit ihrem Sterben arrangiert. Übrig bleiben die anderen: Sams Mutter, die von Patrizia Carlucci mit vorwurfsvoll-bekümmertem Blick beeindruckend intensiv gespielt wird. Die Trauer über den Verlust bleibt nicht auf der Bühne, sie setzt sich auch im Publikum fest. Am Ende weint man leise, aber irgendwie beruhigt: Das bisschen Tod darf einfach nicht das Ende des Lebens sein.

Oliver Dietrich

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