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Premiere im Hans-Otto-Theater: Zwiegespräch mit dem ungeborenen behinderten Bruder

Junges-Theater in der Schiffbauergasse: In „Patricks Trick“ wird erzählt, wie es sich anfühlt, wenn man einen behinderten Bruder bekommt.

Potsdam - Was passiert, wenn ein Paar erfährt, dass es ein behindertes Kind erwartet? Das ist aus Erwachsenenperspektive schon oft erzählt worden, nicht zuletzt in dem Film „24 Wochen“. Am Hans Otto Theater kam am Freitag in der Reithalle für Kinder ab neun Jahren das Stück „Patricks Trick“ von Kristo Šagor zur Premiere, das diese Problematik aus der Sicht eines Geschwisterkindes erzählt.

Der elfjährige Patrick erfährt, als er nachts zufällig ein Gespräch seiner Eltern belauscht, dass er einen Bruder bekommt, der wahrscheinlich nicht sprechen können wird. Anders als seine Eltern sieht der Junge darin nicht wirklich ein Problem, sondern macht sich auf den Weg, zu erfahren, wie er seinen zukünftigen Bruder beim Spracherwerb unterstützen kann. Das ist einerseits seinen fehlenden Erfahrungen zu verdanken, andererseits seinem pragmatischen Optimismus.

Und Patrick (Matthias Gärtner) entwickelt dabei einen Trick. Er stellt sich seinen noch nicht geborenen Bruder (Curdin Caviezel) leibhaftig als jüngeren, aber bereits „großen“ Bruder vor und tritt mit ihm in ein intensives Zwiegespräch ein. Dabei überwiegen nicht – wie bei den meisten Erwachsenen üblich – von Anfang an die Ängste und Zweifel, sondern Freude und Mut. Die beiden Jungen bewegen sich in der sehr dynamischen Inszenierung von Joerg Bitterich dabei in einem Raum, der mit einem Dutzend großer graffiti-beschmierter Quader und dem roten hängenden Strickleiter-Klettergerüst wie ein moderner Spielplatz anmutet (Bühne: Juan León). Mit den vielen Würfeln, die mal die Küche der Eltern, mal ein Klassenzimmer, mal einen Boxring oder einen Gemüseladen darstellen, wird die Geschichte auch körperlich intensiv erzählt. Denn Patrick muss sich seinen Weg hart erarbeiten. Weil es gar nicht so einfach ist, Verbündete zu finden, die einerseits begreifen, was genau sein Problem ist, andererseits ihm dabei helfen können, es zu lösen. Die Quader stellen also auch immer Hindernisse dar, die er körperlich überwinden muss.

Und: Der Elfjährige braucht selbst ziemlich lange, um zu begreifen, was Behinderung eigentlich bedeutet. Das liegt einerseits daran, dass er die Wahrheit nur stückchenweise beim Belauschen seiner Eltern erfährt und andererseits, dass die meisten Kinder und Jugendlichen viel zu wenige Erfahrungen im Zusammenleben mit Menschen mit Behinderungen machen können: trotz Inklusionsgebots in Deutschlands Kindergärten und Schulen.

Da überwiegt bei vielen – wie es auch die Inszenierung zeigt – ein ziemlich klischeehaftes Bild von körperlicher und geistiger Beeinträchtigung: zuckende verdrehte Glieder, laute, komische Sprache oder ständige, nervige Wiederholungen beispielsweise. Und jeder, der sich mal auf Schulhöfen umgehört hat, weiß, dass „behindert“ oder „Spasti“ dort krasse Schimpfworte sind. Doch Kristo Šagors Stück stellt sich diesem Balanceakt und gewinnt ihn.

Mal ruppig, mal leicht

Einerseits dadurch, dass er das Thema aus Kindersicht sehr direkt anpackt, andererseits, weil er den Inklusionsgedanken auf andere benachteiligte Gruppen ausdehnt. Patrick, der wie sein Bruder in diesem Stück für nur zwei Schauspieler in zahlreiche Rollen schlüpft, trifft nämlich beispielsweise den kroatisch-stämmigen Danijel, der es eher kraft seiner Fäuste statt mit Worten schafft, sich Respekt in der Klasse zu verschaffen. Aber gerade dadurch kann er sehr gut nachfühlen, wie es ist, „neu“ sprechen zu lernen.

Überzeugend an der einstündigen Inszenierung ist, dass das Thema hier sehr direkt, mal ruppig, mal leicht, letztlich immer spielerisch verhandelt wird. Die beiden sehr wandlungsfähigen Schauspieler Matthias Gärtner und Curdin Caviezel punkten dabei sowohl als sich durchboxendes Brüderpaar als auch in den Eltern- und Lehrerrollen. Und sie meistern auch die vielen Brüche im Spiel. So z.B. als der große Bruder mit dem kleinen durchspielt, wie es sein könnte, wenn die Behinderung sich beispielsweise in ausdauerndem lauten Schreien äußern würde. Beide liegen am Boden und der Große hält den sich wehrenden Kleinen fest. Was für jemanden, der so eine Situation schon einmal erlebt hat, fast körperlich nachzuempfinden ist, löst allerdings bei einigen sehr jungen Premierenzuschauern immer noch Lachen aus.

So war an dieser Stelle gut zu spüren, dass Lachen, sich Abwenden oder Hänseln auch immer eine Abwehrreaktion dessen, was zu viel ist oder was man nicht versteht, sein kann. Die engagierte Inszenierung lädt dazu ein, über solche Grenzsituationen nachzudenken. Und diese Einladung ist nicht nur an Kinder und Jugendliche gerichtet. Hervorragend auch, wie mit wenigen, sehr klaren Strichen moderne Eltern- und Eltern-Kind-Beziehungen skizziert wurden. Kein Wunder, dass das Stück gerade an vielen Bühnen inszeniert wird.

Astrid Priebs-Tröger

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