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Voller Argwohn. In der sterilen Praxis trifft Margaret (Andrea Thelemann) ihre alte Jugendliebe Mike (Jon-Kaare Koppe) wieder. Er ist inzwischen Arzt, sie gerade arbeitslos geworden. Wie Hund und Katze schleichen sie umeinander. Verbindet sie noch etwas?

© HL Böhme

Premiere im Hans Otto Theater: Unten und oben: Tür an Tür

Gefeierte Premiere vom Mittelschichtsblues: „Good People“ am Hans Otto Theater mit Andrea Thelemann in der Hauptrolle.

Es gibt Momente, wo dieser Blues aufwühlt und aus der wohltemperierten Behaglichkeitszone heraustritt. Wo das Tänzeln zwischen spritzig-unterhaltsamen Dialogen und rasantem Schlagabtausch plötzlich innehält. Das sind die kostbaren Augenblicke in David Lindsay-Abaires komödiantischem Mittelschichtsblues „Good People“, der am Freitag am Hans Otto Theater seine vielbeklatschte deutsche Erstaufführung erlebte. Hochaktuell leuchtet er hinein in das Oben und Unten, das Arm und Reich, in die Welten der Überlebenskämpfer und Lackschuhträger. Hier wohnen sie Tür an Tür. Wer welche betritt, hat auch mit Glück zu tun. Darüber reflektiert dieses unterhaltsame Stück, das eher eine Zustandsbeschreibung ist. Doch man ahnt, dass das zusammengezimmerte „Haus Gesellschaft“ schnell auseinanderfallen könnte.

Wir sehen Margaret, die gerade arbeitslos geworden ist. Immer wieder kam sie zu spät. Aber sie musste eben warten, bis der Babysitter für ihre behinderte erwachsene Tochter eintraf. Unzählige Male hat sie den Job verloren, immer wieder einen neuen gefunden. Für keine Arbeit war sie sich zu schade. Wenn der Mindestlohn nicht gezahlt wurde, macht sie es eben darunter. Hauptsache: durchkommen, überleben, als Mutter bestehen.

Andrea Thelemann und Jon-Kaare Koppe heizen sich ein

Doch inzwischen ist Margaret 50. Wer nimmt sie da noch? Sie greift nach jedem Strohhalm. Und lässt sich auf den Vorschlag ihrer Freundin Jean ein, ihren einstige Jugendliebe Mike aufzusuchen. Der ist inzwischen Arzt, hat es geschafft, die Gosse zu verlassen. Vielleicht kann er ihr helfen? Diese Begegnung in der sterilen weißen Praxis hat Regisseur Elias Perrig mit großem Fingerspitzengefühl in Szene gesetzt. Andrea Thelemann und Jon-Kaare Koppe heizen sich als das einstige Paar aus High-School-Tagen gegenseitig ein: jeder voller Argwohn, jeder auf der Lauer.

Wie Hund und Katze schleichen sie umeinander herum, beschnuppern sich, beißen zu, nähern sich wieder an. Als sich Margaret auf Mikes Arztstuhl setzt und den über die Lehne geworfenen weißen Kittel berührt, zuckt Mike zusammen. Als würde Margaret ihn beschmutzen. Das sind eindrückliche Momente, die beide Schauspieler wie nebenbei miterzählen. Unaufdringlich, mit feinem Humor. Mike lädt schließlich Margaret zu seiner Geburtstagsparty nach Hause ein. Vielleicht lernt sie ja dort jemanden kennen, der ihr zu einem Job verhilft. Ein Tanz auf dem Vulkan, für beide. Mike könnte sich blamieren in seinem elitären Kreis, mit Margaret, die redet, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Aber sie könnte auch zeigen, woher er kommt und er würde vor den anderen glänzen für seine tolle Leistung auf der Leiter nach oben.

Alles prallt aufeinander

Als Mike die Party absagt, weil sein Kind krank geworden ist, geht Margaret trotzdem hin. Sie glaubt, dass er kalte Füße bekommen hat und sie nur ausladen wollte. Doch es findet tatsächlich keine Party statt. So sind sie nur zu dritt: Mike, der strebsame Emporkömmling, seine junge Frau, die reich geboren wurde und ständig zum Therapeuten geht. Und Margaret, die nicht weiß, wie sie ihre nächste Miete bezahlen soll.

Alles prallt aufeinander: Wahrheit, Verständnis, Lügen, Kränkungen. In dramatischen, sich auf- und abschwingenden Bögen. Margaret fällt aus dieser Rosen gespickten Welt heraus: Ihr Kleid ist etwas zu bunt, etwas zu kurz und sie zuppelt ständig, dass es länger wird. Aber es wird nicht passen zu diesem barocken weißen Sessel, zu den exquisit stinkenden Käsehäppchen. Sie weiß auch nicht, wie ein guter Wein schmecken muss. Aber sie weiß, wenn sie verletzt wird. Und das wird sie, als Mike ihr nicht zubilligt, Babysitterin bei seinem Kind zu werden. Da packt sie aus, erzählt Mikes schwarzer Frau (Patricia Coridun), wie er als weißer Junge einen Schwarzen fast totgeprügelt hat. Hätte ihn sein Vater nicht abgehalten, säße Mike heute vielleicht im Gefängnis und nicht unterm Kronleuchter.

Andrea Thelemann spielt eine vielseitige Stehauf-Frau

Margaret hatte keinen, der ihr zur Seite stand. Sie wuchs bei ihrer alleinerziehenden, berufstätigen Mutter auf, die nicht auf die Schulhefte sah. Und genau darum kreist diese Geschichte, die Beate Faßnacht in ihrer drehenden Bühnen-Behausung sehr sinnhaft fasst. Oben und unten wohnen eng beieinander. Wer in welchem Zimmer landet, hängt nicht nur von der Leistung ab. Margaret schuftet, anders kennt sie es nicht. Sie will Arbeit, keine Almosen. Andrea Thelemann zeichnet ihre Margaret als lebensklug-verletzliche, offenherzig-polternde, Gerechtigkeit einfordernde Stehauf-Frau. Das macht sie überzeugend und facettenreich. So wie auch Jon-Kaare Koppe seinen Mike in ein vielschichtiges Gewand kleidet.

Zwischen diesen spiel- und dialogkräftigen Szenen ranken sich ausgedehnte Bingo-Runden, von denen sich Margaret und ihre Freundinnen Dottie und Jean (Meike Finck und Katrin Hauptmann, die recht schablonenhaft für das „Unten“ stehen) das große Glück erhoffen. Ebenso wie Stevie (Eddie Irle). Etwas weniger Bingo hätte der Spannung gutgetan. Die dahinrasenden, mitunter kaum zu verstehenden Dialoge verwässerten die zugkräftigen und nuancenreichen Zuspitzungen.

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