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"Blitzschlag" mit Andrea Brose und Dietmar Nieder.

© promo/Stefan Gloede

Premiere auf dem Theaterschiff: Die Begegnung zweier Krebskranker

Im Fitnessstudio treffen Anna und Harald zufällig aufeinander. Sie haben mehr gemeinsam als es scheint: Eine gekonnte Inszenierung eines nicht einfachen Themas.

Potsdam - Majestätisch schreitet eine Frau in einem opulent leuchtenden Schleppenkleid auf die Bühne des Theaterschiffs. Doch als sie stehen bleibt und ins voll besetzte Publikum blickt, ist erkennbar: Sie ist mehr blasser Geist als stolze Königin. Angst und Verwirrung spiegeln sich in ihrem Gesicht, und ein lautes Durcheinander von Stimmen - offensichtlich in ihrem Kopf - rekapituliert einen Arztbesuch. Routine soll der eigentlich sein, aber sie erhält die Diagnose: Der Brustkrebs ist zurück.

Keine leichte Unterhaltung

„Blitzschlag“, am Freitagabend auf dem „Sturmvogel“ in der Schiffbauergasse zum ersten Mal in Regie von Martina König aufgeführt, ist keine leichte Unterhaltung. Aber, um den Eindruck der ersten Szene zu relativieren, auch nicht durchgängig schwer verdaulich.  Wenn die Frau, die Anna heißt und von Andrea Brose gespielt wird, im Fitnessstudio auf den von Dietmar Nieder verkörperten Harald trifft, ist das sogar komisch. Er, sportlich und im hautengen Fitnessoutfit, und sie ganz in Pink, offenbar zum ersten Mal auf dem Laufband, sind sich anfangs nicht sympathisch. Er ist genervt, als sie ihn anspricht, sie spottet über seine Überheblichkeit. Doch dann werden sie abends gemeinsam eingesperrt. Harald, der sehr rational und kontrolliert wirkt, reagiert verärgert, sie hingegen ist gelassen. Weil die Handys keinen Empfang haben, müssen sie warten. Sie beginnen notgedrungen, sich zu unterhalten und erfahren, dass sie beide an Krebs erkrankt sind.

Sie glauben, selbst Schuld zu sein

Ihre unterschiedliche Reaktion auf das Festsitzen zeichnet dabei vor, wie beide bislang mit der Krankheit umgegangen sind. Journalistin Anna sucht nach der Diagnose Ruhe und Spiritualität - und ist skeptisch gegenüber gängigen Behandlungsmethoden. Er, selbstständiger Handwerker, glaubt, sich noch mehr im Leben anstrengen und jetzt erst recht alles kontrollieren zu müssen, und vertraut nur auf die Schulmedizin. Gemeinsam haben sie aber das Gefühl, selbst Schuld zu sein - ein Thema, das viele Krebskranke beschäftigt, wie Martina König recherchiert hat.

Am Laufband: Anna und Harald. 
Am Laufband: Anna und Harald. 

© promo/Stefan Gloede

Für das Stück hat sie sich mit den Erfahrungen Betroffener beschäftigt und fachärztliche Beratung herangezogen. Das findet sich zutiefst empathisch im Schauspiel wieder. Wenn Anna von vielen Händen abgetastet wird, was sie selbst mit weißen Handschuhen symbolisiert, die sie auf ihr Kostüm klebt, wird ihr Ausgeliefertsein an die Krankheit schmerzhaft nachfühlbar, ebenso, wenn sie mit einer nachgebildeten Krebszelle ins Zwiegespräch geht und sie fragt: „Bist Du gegen mich?“ Starke Szenen sind das, weil sie fast furchtlos mit dem doch stark angstbesetzen Thema umgehen. Überzeugend ist dabei auch das authentisch wirkende Spiel von Andrea Brose und Dietmar Nieder, die Anna und Harald mit großer Natürlichkeit, frei von künstlicher Dramatik, darstellen.

Sie tanzen durch die Dunkelheit

Erschließt sich der Schauplatz, ein Fitnessstudio, nicht auf Anhieb, entfaltet sich seine Metaphorik mit dem Kennenlernen von Anna und Harald im Laufe des Stücks jedoch mit voller Kraft. Körperlicher könnte ein Ort kaum sein - hier wird geatmet, geschwitzt, der Muskel gefühlt. Während Harald auf dem Laufband wie um sein Leben rennt, bei der Erinnerung an die Diagnose immer wieder wie vom Blitzschlag getroffen fast zusammenbricht, versucht Anna, überhaupt einen Laufrhythmus zu finden. Das Festsitzen an diesem Ort transportiert schließlich das beklemmende Gefühl, dem Krebs nicht zu entkommen, zugleich werden dadurch aber Nähe und Austausch von Zweien möglich, die sich sonst nie kennengelernt hätten.

Und vielleicht ist das die Botschaft: Darüber zu reden, mit anderen Betroffenen, und sich zu sagen, was Harald irgendwann zu Anna sagt: „Es ist nicht deine Schuld.“ Dieser Satz bricht endgültig das Eis, beide hören mit dem Laufen auf und tanzen in leuchtenden Kostümen durch die Dunkelheit tanzen. Das Geisterkostüm aus der ersten Szene ist vergessen, das Fitnessstudio wird zu einem Ort des Trostes - wenn auch nur bis zum Morgen, an dem beide erneut aufs Laufband steigen. Aber dieses Mal mit einem Lächeln im Gesicht.

Andrea Lütkewitz

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