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Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt.

© Thomas M. Jauk

Premiere am Hans Otto Theater: Was man nicht sagen kann, muss man tanzen

Trennung, Krankheit, Tod: „Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt“ erzählt in der Reithalle für Kinder vom Schwersten überhaupt.

Dieses Mädchen haut einem den Boden unter den Füßen weg. Maulina heißt sie, eigentlich Paulina, ihre Eltern haben sich gerade getrennt, jetzt lebt sie mit ihrer Mutter in einer Wohnung, die sie „Plastikhausen“ nennt, und es ist eindeutig alles im Arsch. So weit, so kindertheaterkonventionell. Doch dann tritt Nélida Martinez als Maulina auf, und wischt jeden Gedanken an Konvention vom Tisch. Am Ende klatscht eine Schulkasse begeistert Beifall und die Rezensentin wischt sich verstohlen die Augenwinkel.

Die Rede ist von „Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt“, der Bühnenfassung nach den Romanen von Finn-Ole Heinrich und Dita Zipfel, Premiere war am gestrigen Freitag in der Reithalle. In Potsdam wurde die Trilogie nicht nur auf eine kindertheatergemäße gute Stunde eingedampft, Sprache wird hier auch noch in großen Teilen durch Tanz ersetzt. Regisseurin Marita Erxleben ist Choreografin und Tanzlehrerin, ihre Bühnenarbeiten zehren davon. Für „Maulina Schmitt“ heißt das: Was unsagbar ist, kindliche Trauer, kann doch gesagt werden. Ein Glücksfall. 

Schon der Beginn zeigt, wie viel schneller, eloquenter, eleganter als Sprache Bewegung erzählen kann. Da wirbeln zwei Verliebte (Chiara Fersini und Johannes Heinrichs) über die Bühne, bald sind sie zu dritt, machen fröhlich ein paar Sprünge – dann tanzen die Großen sich auseinander. Zurück bleibt die Dritte, Maulina. 

Das eigentliche Abenteuer dieser Maulina ist die Krankheit ihrer Mutter

Und Maulina ist gar nicht so maulig wie ihr Name, sondern extrem erfinderisch, begeisterungsfähig, ein Lachen mit Superheldinnenkraft. Sie hat ein Agententeam um sich gescharrt, das den Vater, der jetzt mit neuer Frau im alten Zuhause lebt, ausspioniert. „Der Mann“ nennt Maulina ihn, „Papa“ hat er verspielt. Als sie erfährt, dass dessen Neue schwanger ist: „Maulplosion“. Ein Wutschrei, eine gezackte Comicblase – dann hat sich Maulina schon wieder gefangen. Sie ist so tapfer, dass es einem das Herz brechen will.

Das eigentliche „Abenteuer“ dieser Maulina Schmitt ist die Krankheit ihrer Mutter. Erst hinkt diese nur, später sitzt sie im Rollstuhl, und noch im Krankenhaus glaubt Maulina, sie mit einem Zaubertrank retten zu können. Kann sie nicht.

Auch wo es um Krankheit und Tod geht, führt der Tanz eloquent weiter, was die wenigen Sätze auf der Bühne nur andeuten. Der Rhythmus fängt die auf der Bühne in Momenten größter Trauer auf – und er packt auch die im Publikum. Besonders die Wutbeats. Wie nah die Kinder dem Geschehen auf der Bühne sind, spürt man in der Szene, Maulinas Mutter bereits im Sterben liegt, wenn Maulina und ihr neuer Freund Paul (Ricco-Jarret Boateng) die Daumen in die Höhe halten und staunen: So gesehen ist der Daumen größer als die Sonne. Ein Dutzend Daumen im Publikum will es gleich versuchen.

„Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt“ erzählt von einem solchen Perspektivwechsel, der noch die schrecklichsten Dinge erträglich macht. Erzählt von der Kraft von Freundschaft und Fantasie, von der Endlichkeit. Es erzählt davon in kurzen, musikdurchtränkten Szenen, manchmal schrill und zeigefingerdick, manchmal holprig oder gehetzt – aber auch im Leben dieser tapferen Maulina passiert schließlich alles gleichzeitig. Krankheit und Tod, Geburt und Geburtstag. Regisseurin Marita Erxleben scheut vor diesem Zuviel, dass das Leben manchmal bietet, nicht zurück. Die Botschaft und auch der Trost dahinter: Kinder halten all das aus, sogar den Tod. Ohne gute Begleitung allerdings geht das nicht, das gilt auch für dieses Stück. Aufgeführt in der Reithalle, wieder am 19., 20., 21., 22., 26., 27. und 31.9. Empfohlen ab neun Jahren

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