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Arne Lenk als akademischer Besserwisser Falk in "Das Imperium des Schönen" von Nis-Momme Stockmann, Regie Bettina Jahnke.

© Thomas M. Jauk

Premiere am Hans Otto Theater: Showdown für den Mansplainer

Bäckerfachkraft versus akademischen Besserwisser: Nis-Momme Stockmanns „Das Imperium des Schönen“ schickt soziale Gegensätze und ästhetische Debatten miteinander in den Ring.

Potsdam - Ihr sei danach ernster zu werden, hat Potsdams Intendantin Bettina Jahnke zu Beginn dieser Spielzeit kürzlich gesagt. Fokussierter. Seitdem Corona uns beigebracht hat, dass nichts mehr selbstverständlich ist, am wenigsten die Kunst, die live auf einer Bühne passiert, gehe es ihr und dem Ensemble des Hans Otto Theaters vor allem um die Frage: Was ist uns wirklich wichtig? Deswegen soll es in Potsdam in dieser Spielzeit auch keine Komödien mehr geben. Dafür folgen nach einem düsteren, lehrstückhaften Shakespeare-Auftakt demnächst Ibsen, Kleist und Hauptmann.

Zunächst aber ist da Stockmann, Nis-Momme. Seit „Das blaue blaue Meer“ von 2009 gehört er zu den vielgespielten jüngeren Autoren der deutschsprachigen Gegenwart. Das Stück, das Potsdams Intendantin zum Spielzeitauftakt inszenierte, heißt „Das Imperium des Schönen“, uraufgeführt 2019 in Stuttgart. Potsdam setzt damit seine inzwischen fast zur Tradition gewordene Strategie der Zweitaufführungen fort: Keine schlechte Idee für ein Haus, das sich der eigenen Aussage nach Uraufführungen nicht leisten kann und trotzdem zeitgenössische Dramatik ganz großschreiben will. Zeitgemäß nachhaltig ist es auch.

Ein Konversationsstück, inszeniert mit Hang zur Komödie

„Das Imperium des Schönen“ scheint erst einmal all das nicht zu sein, wozu Jahnke sich angesichts der Pandemie bekannt hat. Stockmanns Stück ist über weite Strecken verplaudert, ein Konversationsstück, das Jahnke durchaus auch mit Hang zur Komödie inszeniert. Zwei Paare sind hierin nach Japan gereist, sitzen nun übermüdet von Jetlag und Sightseeing in einem schicken Ferienapartment und reden so lange, bis von der anfangs zumindest einigermaßen heilen Oberfläche nichts mehr übrig ist.

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Komödienkonform sind drei der vier Typen auf der Bühne schnell erkannt: Falk (Arne Lenk) ist der professorale Blender, außerdem der mit dem dicken Portemonnaie. Er hat alle eingeladen zu diesem Japan-Trip – woraus er schlussfolgert, dass er auch sagt, wo‘s lang geht. Falks Frau Adriana (Franziska Melzer) ist angesichts seiner Großspurigkeit immer eine Spur kleiner als sie sollte oder könnte: vermittelnd bis zur Selbstaufgabe. Matze (Hannes Schumacher) ist Falks kleiner Bruder, und zwar in allem: weniger Geld, weniger Selbstbewusstsein, weniger Wortgewalt. Er will einfach nur, dass alle kuscheln und auf Kommando "Wow!" rufen, aber bitte auch aus tiefstem Herzen.

Besserwissertum im Wanken

Matzes Freundin Maja (Laura Maria Hänsel) ist Bäckerfachfrau und wirkt als einzige nicht so, als sei sie auf den ersten Blick zu durchschauen. Sie ist der Störfaktor in dieser Reisegemeinschaft, bringt Falks Besserwissertum zum Wanken. Sie will keine Tempel mehr besuchen, sondern den Elektrofachhandel „Yodobashi“. Diese Kulturlosigkeit lässt Falk fast aus den Mokassins kippen, dass Maja Japan einfach nur „gut“ findet, findet Falk zu wenig „angesichts der Kosten, die die Reise verursacht.“

Dass der Großkotz Falk entlarvt werden muss, ist von Anfang an klar, und so kommt es auch. Junge Bäckereifachkraft im Showdown gegen den mittelalten Mansplainer: Natürlich schwingt da auch ordentlich Sozialkritik mit, und Jahnkes Regie lässt keine Zweifel, wo die Sympathien hier stehen. Dabei ist der Kampf der Positionen im Text ausgewogener und grundsätzlicher als das auf der Bühne deutlich wird – und grundsätzlich ästhetischer Natur.

Paul Sies und Mascha Schneider als Ignaz und Ismael in "Das Imperium des Schönen" am Hans Otto Theater.
Paul Sies und Mascha Schneider als Ignaz und Ismael in "Das Imperium des Schönen" am Hans Otto Theater.

© Thomas M. Jauk

Europäische Metaphysik versus sanftes Streichen der Oberflächen

Während man in der durch die europäische Metaphysik geprägten Kunst „immer auf etwas hinauswill“, sagt Falk einmal, „ist es beim Japaner eher so, als spüre er die Schwere der Wassermassen, indem er sanft über ihre Oberflächen streicht.“ Warum immer alles zuordnen, bewerten, sich durch eine Position festlegen? Maja sieht das anders, sie glaubt an die grundsätzlichen Kategorien von Lüge und Wahrheit, beides sind für sie „Gemeinschaftsleistungen“: „Welten, die gebaut und eingerissen werden.“ Für etwas einzustehen, was für ein radikaler, kreativer Akt!

Wie gesagt, das steht im Stücktext. Auf der Bühne kann man den Thesen eher schwer folgen, da wirkt es fast, als sei die Ästhetikdebatte nur das Gebläse, um den nicht besonders vielschichtigen Figuren auf die Sprünge zu helfen. In dem engen Zimmerchen (Bühne Dorit Lievenbrück) sitzen die vier wie Figuren im Kasperletheater oder Reality-TV und plaudern über Sushi und Sake und dieses Land da draußen, jenes „Imperium des Schönen“, das ihnen allen verschlossen bleibt – egal, wie sehr sie es vorgeben zu verstehen. 

Die Distanz schon Gestorbener und noch nicht Geborener

Regelmäßig raus aus dem Kasten dürfen nur die Kinder Ignaz und Ismael (Mascha Schneider und Paul Sies): in japanischen Masken, mit stilisierten Gesten rufen sie die Szenennamen ins Publikum, rollern gespenstisch auf Blades herum und gucken auch sonst mit der gnadenlosen Distanz längst Gestorbener oder noch nicht Geborener aufs Geschehen. Ist sie das schon, die Essenz, um die es in Potsdam künftig gehen soll? Das Schlaue an diesem Stück: Wem all das einen Tick zu seicht ist, der wird sich am Ende zumindest fragen, ob er die Schwere der Wassermassen vielleicht einfach nicht genug gespürt hat.

Wieder am 24.9. sowie vom 7. bis 10.10. im Großen Haus des Hans Otto Theaters

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