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Nach der Corona-bedingten Pause erstmals wieder vor Publikum: "Genie und Verbrechen" im Gasometer des Hans Otto Theaters. 

© dpa

Premiere am Hans Otto Theater in Potsdam: Komödie in Moll

Nach mehr als sieben Monaten feierte das Hans Otto Theater wieder eine Premiere. "Genie und Verbrechen" im Gasometer ist ein behutsamer, nicht nur lustiger Wiedereinstieg in die Live-Kultur.

Potsdam - Der echte Himmel ist blau, der auf der Bühne sieht in den Ecken schimmelig aus. Sagt das nicht alles über die, die darunter leben müssen? Die Menschen in „Genie und Verbrechen“ sind eindeutig nicht gut dran. Da kann sich im Fernsehen das Glücksrad drehen, wie es will: Das Bildschirm-Versprechen wird hier nicht eingelöst, so viel ist von Anfang an klar. 

Was auch klar ist: Die fünf auf der Bühne suchen trotzdem danach. Ab und an wenden sie dem wilden Treiben erschöpft den Rücken und bleiben selbstvergessen einen Moment lang vor dem Fernseher hängen. Ihre Welt mag ein abgestandenes Filmset sein, aber die Rollen spielen sie mit Hingabe. Westernhelden, alle.

216 Tage Theaterabstinenz

Sagenhafte 216 Tage herrschte im Potsdamer Stadttheater Abstinenz. So lange ist es her, seitdem das Ensemble des Hans Otto Theaters das letzte Mal vor Publikum spielen durfte. Intendantin Bettina Jahnke hat es taggenau ausgezählt. Ende Oktober hatte sich das Theater mit einer geradezu menetekelnden „Maria Stuart“ in den Lockdown verabschiedet: eine Huldigung dessen, was Theater so kann. Es folgten Online-Premieren, improvisierte Online-Formate, das Übliche. Funksignale einer Truppe, die Öffentlichkeit sucht und braucht. In der Stadt wirbt das Haus seit ein paar Monaten mit dem Slogan „Unsere Sucht heißt Sehn“. 

"Genie und Verbrechen" von George F. Walker hatte in der Regie von Elina Finkel im Gasometer des Hans Otto Theaters Premiere. 
"Genie und Verbrechen" von George F. Walker hatte in der Regie von Elina Finkel im Gasometer des Hans Otto Theaters Premiere. 

© Thomas M. Jauk

Jetzt hat die Sehnsucht ein Ende. Dass zur Premiere dennoch Sitze frei blieben, war dem Theater zufolge ein Fehler im Ticketsystem. In Potsdam setzt man zu Wiedereingewöhnung, wie andernorts auch, auf Komödie. Aber wie und worüber hier gelacht wird, erzählt vielleicht auch etwas über die Spuren von sieben Monaten Pandemie. „Genie und Verbrechen“ ist eine schwarze Komödie des kanadischen Gegenwartsautors George F. Walker. In der Regie von Elina Finkel ein lakonischer Krimi, irgendwo zwischen Beckett, Inoseco, Michael Frayn und Quentin Tarantino. Zwischen Erschöpfung und Anarchie.

Auf Socken durchs Geschehen

Das Setting im Gasometer, dem Open-Air-Hof des Hans Otto Theaters: ein Motelzimmer. So ranzig wie der Himmel darüber. Hier warten die Kleinganoven Rolly (René Schwittay) und Sohn Stevie (Paul Sies) zitternd darauf, dass etwas passiert. Worauf genau, ist lange unklar. Sie wissen es selbst nicht, ahnen aber: nichts Gutes. 

Dann klemmt plötzlich Phillie (Guido Lambrecht) in der Tür, der Cowboyhafteste von allen. Gegeltes Haar, Bluejeans, spitze Stiefel, da wo bei anderen der Colt säße: ein Handfeger. Phillie ist der dauerbetrunkene Motelverwalter (notfalls säuft er auch Putzmittel), und er will Geld. Geld haben die beiden nicht, also nimmt er Rollys Schuhe. Rolly, rein optisch ein Bilderbuch-Rausschmeißer, geht von nun an auf Socken durchs Geschehen.

Pornos verticken ja, Gewalt nein

Bald tritt das vage erwartete Schreckensszenario ein. Es trägt hohe Schuhe, platinblonde Korkenzieherlocken, eine Knarre und heißt Shirely (Katja Zinsmeister). Sie ist der Boss. Und stinksauer: Rolly und Stevie haben nicht wie verabredet ein Restaurant abgefackelt, sondern die Köchin entführt, warum? Die Antwort führt zum rührenden Herz dieser Komödie: Weil sie „nichts mit Gewalt“ können. Pornos verkaufen, Menschen bedrohen ja. Aber niemandem wehtun bitte. Das ist ihr „Ding“, von diesem Ding rücken sie nicht ab: „Wenn wir es ablegen, haben wir ja gar nichts mehr.“

Rolly und Stevie sind Rädchen im Getriebe, aber ihre Prinzipienfestigkeit bringt das große Ganze ins Stocken. Denn die gekidnappte Köchin Amanda (Mascha Schneider) ist nicht irgendwer, sondern die Tochter vom Big Boss. Und Amanda hat eigene Pläne: einen Rachefeldzug gegen ihren Vater, der sich wiederum dafür rächen will. Die Entführte Amanda wird zur Anführerin, die vermeintlich Schwächste wird zum Racheengel à la „Kill Bill“, mit Duschhaube.

Die Frauen mit Killerinstinkt, die Männer in der Schwebe

Und die Männer? Bleiben unter den widerstreitenden Kommandos der beiden Killer-Frauen wortwörtlich in der Schwebe, lassen sich aber sonst vom maskulinen Ehrenkodex („Stirb wie ein Mann“) nicht weiter beeindrucken. Im Zweifel hauen sie lieber ab als sich zu prügeln, das ist die sympathische Utopie im Herzen dieser Westernparodie. 

Sympathisch sind auch die, die da straucheln. Rolly haut sich ständig die Nase blutig, Stevie wird von nervösen Zuckungen durchgeschüttelt. Und Guido Lambrechts Phillie, der Säufer in Cowboystiefeln, schiebt sich in fantastischen Bewegungen über die Bühne, bevor er stets aufs Neue zu Boden geht. Er ist es auch, der auf die Frage, warum sie nur alle solche Nullen seien, antwortet: „Na, Pech“.

Regisseurin Elina Finkel setzt das alles eher lakonisch als überdreht in Szene, glücklicherweise. Marc Eisenschink an der Live-Gitarre antwortet auf das Dialogtempo mit tröpfelnder Country-Melancholie. Am Aufsteller „Motel“ im Bühnenbild fehlen ein paar Buchstaben, zum Schluss fällt noch einer ab. Was da steht, beschreibt den Grundtenor dieses behutsamen, wohltuend widersprüchlichen Wiedereinstiegs in das lang entbehrte Vergnügen von Live-Theater: MOL.

„Genie und Verbrechen“ im Gasometer des Hans Otto Theaters Potsdam, wieder am 5., 10. bis 12. und 17. Juni.

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