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Der Regisseur Marc Becker trotzt Smartphones.

© Andreas Klaer

Premiere am Hans Otto Theater: Der Bremer Regisseur Marc Becker inszeniert „Die Mitwisser“ in Potsdam

Personifizierter Optimierungswahn: In „Die Mitwisser“ übernimmt ein Mensch die Rolle des Smartphones.

Von Helena Davenport

Potsdam - Bei dem Theaterstück „Die Mitwisser“, das Philipp Löhle 2018 verfasst hat, passt der so häufig zitierte Filmtitel „Zurück in die Zukunft“ – den man ja fast nicht mehr lesen mag – leider ziemlich vortrefflich. Man stelle sich vor, die Digitalisierung findet in einer analogen Welt statt, das heißt, übrig bleiben nur die hard facts, die Vor- und die Nachteile. Das ganze Drumherum – schnieke Designs, faszinierende Technologie – bleibt außen vor. An die Stelle des Smartphones tritt Herr Kwant, er ist quasi personifiziertes Navi, Suchmaschine und Wetter-App zugleich. Als treuer Diener bietet er den Allround Service, ist jedem ergeben, der ihn erwirbt, nach Wünschen formt und bildet.

Ein frischer Blick auf die Gegenwart

Ein genialer Schachzug des Dramatikers. Scheint dieser Stoff doch die Möglichkeit zu bieten, einen ganz frischen Blick auf die Gegenwart zu werfen, auf aktuelle Probleme oder Nicht-Probleme, wie auch immer man das sehen mag. Dies haben sich so einige Theatermacher gedacht: Das Stück feierte bereits unüblich oft Premiere. An sechs Theatern wurde es auf die Bühne gebracht, zuletzt im Westfälischen Landestheater CastropRauxel. Die nächste Premiere steht am Potsdamer Hans Otto Theater (HOT) an. Der Regisseur Marc Becker, 1969 in Bremen geboren, der auch bei „Viel gut essen“ von Sibylle Berg am HOT Regie führt, inszeniert „Die Mitwisser“. Am 13. März findet die Premiere statt.

Herr Kwant ist unbefleckt

Der Regisseur kennt den Dramatiker persönlich. Bei einem Gespräch zu dem Boulevardstück habe sich Letzterer gewünscht, dass Herr Kwant menschliche Züge erhält, er soll eben nicht einem Roboter gleich über die Bühne staksen. Eine paradoxe Mischung, schließlich ist der Kwant ansonsten zu Beginn ein unbeschriebenes Blatt. Eben wie Siri vor ihrem ersten Einsatz, ohne Charakterzüge oder spezielle Eigenschaften. Mit der Zeit passt er sich jedoch an seine Besitzer an und bietet den Vorlieben entsprechend Informationen an. Theo Glass, der sich einen Kwant für sich und seine Frau zulegt, geht neugierig und auch ein bisschen naiv an die Sache ran, „so wie wir an das erste Smartphone herangegangen sind, das 2007 auf den Markt kam“, sagt Marc Becker. Wohin die Daten gelangen, die der Kwant abspeichert, was die Konsequenzen des Zusammenlebens sind, scheint ihm herzlich egal zu sein.

Harte Konsequenzen

Dabei liegt bald einiges im Argen. Denn so ein Kwant zählt eins und eins zusammen und trifft Entscheidungen, die über kurz oder lang auch harte Konsequenzen mit sich bringen können. Stellt er fest, dass seine Besitzer nicht zusammenpassen, da sie unterschiedlichen Freizeitbeschäftigungen nachgehen, sorgt er dafür, dass ihre Beziehung zerbricht. Aus die Maus. So schnell kann es gehen, wenn allein rational gehandelt wird, Emotionen kein Gewicht haben, stattdessen die Optimierung im Vordergrund steht.

Becker nennt Herrn Kwant ein Sinnbild des Optimierungswahns. Dabei werde deutlich, so der Regisseur: „Effizienzdenken hat seine Vorteile, wenn man beruflich weiterkommen will, nicht aber, wenn man dabei selbst wegrationalisiert wird.“ Inwieweit ist ein Mensch noch Mensch, wenn er effizient ist? Diese Frage stelle sich. „Machen nicht Fehler und Überraschungen den Menschen erst aus?“ Ihn habe das Stück an das Sachbuch „Homo Deus“ des israelischen Historikers Yuval Noah Harari erinnert. Der Autor entwirft Horrorszenarien, die seiner Meinung nach eintreffen könnten, wenn der Mensch sich durch Technologien gottgleiche Fähigkeiten verleiht.

Digitalisierung als Thema ist sein Steckenpferd

Die Digitalisierung als Thema ist Beckers Steckenpferd. Am Staatstheater Mainz führte er bei „Die Agonie und die Ekstase des Steve Jobs“ Regie. Hierfür traf er sich im Vorfeld auch mit Mitgliedern des Chaos Computer Clubs. Becker selbst besitzt kein Smartphone, hatte auch noch nie eins. Und er habe auch noch nie sein Essen fotografiert, scherzt er trocken. Zwei Probenbesuche fanden statt, unter anderem eine zehnte Gymnasialklasse kam vorbei. Beide Male sei verblüffend gewesen, so Becker, wie schnell sich Konsens einstellt, nämlich darüber, dass Smartphones doch gar nicht so toll sind. „Alle denken dasselbe, aber keiner schreitet zur Tat, wider besseren Wissens“, sagt Becker. Vor zwei Jahren berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung darüber, warum Silicon-Valley-Eltern ihre Kinder von Smartphones fernhalten – dennoch habe sich nichts verändert.

Kein erhobener Zeigefinger

Eine Moralverkündung bleibt bei dem Stück dennoch aus. Stattdessen soll der Zuschauer inspiriert werden und sich amüsieren. Und die Ambivalenz soll nicht außer Acht gelassen werden: Denn wer weiß, vielleicht macht so ein Kwant ja auch glücklich. Wie er leben möchte, muss jeder selbst entscheiden, sagt Becker.

Die Premiere ist bereits ausverkauft, nächste Vorstellung am 21. März

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