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Barada Street überzeugte mit clownesker Akrobatik.

© Promo

Potsdamer Winterzirkus: Akrobatik mit Ukulele

Beim Auftakt des Potsdamer Winterzirkus liefern charismatische Artisten ihre Darbietungen ab - dabei geht es nicht immer lustig, sondern manchmal auch nachdenklich zu.

Potsdam - Alles, was sie machen, machen sie zusammen, der Mann und der Stock. Als sich das T-Werk am Freitagabend füllt, liegen sie beide bereits regungslos auf dem Boden der Bühne, erst, als das Publikum still sitzt, bewegt sich der Mann plötzlich. Als er den etwa ein Meter langen Stock auf den Armen, dem Kopf, Beinen und sogar dem großen Zeh balanciert, scheint er regelrecht mit ihm verwachsen zu sein. Egal, was der Mann macht, er scheint ein Teil von ihm zu sein. Was folgt, ist die artistische und zeitweise tänzerisch anmutende Darstellung unterschiedlicher Situationen, die unentwegt von einem Bildschirm, über den eine Schrift läuft, kommentiert werden.

„Stickman“ hat die Künstlergruppe Squarehead Productions diese ungewöhnliche Performance genannt, die zum Auftakt des Potsdamer Winterzirkus in der Schiffbauergasse zu sehen ist. Ein neue Veranstaltungsreihe, die an fünf Wochenenden stattfindet. Merkwürdig und ziemlich komisch kommt sie daher, wenn zum Beispiel banal kommentiert wird: ganz simpel mit „Man“ und „Stick“ oder der Mann mit dem Stock zwischen den Beinen zum „Lover“ wird. Es gibt auch kurze, nachdenkliche Momente, die sich trotzdem nicht einer gewissen Komik erwehren können, wenn sich der Stock in einem „Stick Solo“ an seine Wurzeln erinnert, an die Erde, die er als Baum gefühlt hat und an den Schmerz, als man ihn zum Stock verarbeitete.

Squarehead Production und ihr Programm "Stickman".
Squarehead Production und ihr Programm "Stickman".

© promo

Unheimliche Befehle

Wenn dann aber die Erklärungen des Fernsehers langsam in Befehle umschlagen, wird es unheimlich. Das Publikum wird einbezogen, jemand soll hervorholen, was hinter dem Fernsehgerät versteckt ist. Es ist eine Pistole, und der Bildschirm, diese merkwürdige Macht, verlangt, dass der Zuschauer den Mann erschießt. Der Zuschauer drückt ab, der Mann fällt um. Und dann mischt sich plötzlich ein Dritter ein, der den Fernseher abschaltet. Doch die undefinierbare Macht scheint ungebrochen: plötzlich erwacht der Stick zum Leben und versucht ebenfalls Befehle zu erteilen. Ist es der Geist des Bildschirms, der in ihn gefahren ist?

„Stickman“ ist eine minimalistische Aufführung, die einen großen Kosmos an möglichen Interpretationen und Assoziationsmöglichkeiten mitbringt – und einen ironischen Blick auf die Kunst selbst. Geht es um die fantasielose Eindeutigkeit des Fernsehens, des Internets, von Social Media? Ist es immer gut, alles sofort zu wissen, für alles eine Erklärung zu haben? Und wer schreibt die Regeln, wer bestimmt, was andere sehen? Vielleicht sieht ja jeder etwas anderes, wenn nicht immer alles erklärt wird. Trotz der Ernsthaftigkeit, die dem Stück durchaus innewohnt, hält es eine gewisse Leichtigkeit, allein schon wegen des skurrilen Eigenlebens von Stock und Bildschirm. Am Ende ist der Applaus groß – doch es sollte sich gerade erst warmlaufen im T-Werk. Als nach einer kurzen Umbaupause das britisch-kirgisische Duo Barada Street die Bühne betritt, sorgt allein schon die Erscheinung der beiden Männer für Schmunzeln bei den Zuschauern. Der eine groß und schlaksig, der andere vor allem muskulös. Bekleidet sind beide mit Hemd, Weste und Hut, irgendetwas zwischen Dandy und dem stärksten Mann der Welt auf einem Rummel im 19. Jahrhundert.

Barada Street setzen auf intelligente Komik.
Barada Street setzen auf intelligente Komik.

© promo

Der Kampf um die Stinkesocke

Das erste, was sie mit ihren Ukulelen besingen, ist dann auch der Schnauzbart, den sie beide tragen: „Start wearing a mustache for me“ – „Fange an, einen Schnauzbart für mich zu tragen“. Es sind immer kleine, unzusammenhängende Szenen, die sie pantomimisch oder mit Gesang darbieten, gesprochen wird kaum. Zumeist befinden sie sich dabei in einem witzigen Wettstreit, in dem zum Beispiel eine Socke zur Waffe wird und derjenige unterliegt, dem sie zuerst vom anderen in den Mund gestopft wird und offensichtlich ob des Geruchs in Ohnmacht fällt. Clownesk ist das, aber ganz ohne rote Nasen und übergroße Schuhe, und ohne zum reinen Klamauk zu werden. Im Gegenteil: Zur wahren Meisterleistung werden ihre Gags, weil sie sich dabei artistisch verausgaben. Immer wieder wird der Schlaksige vom starken Mann hochgehoben, in der Luft gedreht, auf den Schultern getragen. Keiner der beiden hört dabei jemals auf, Ukulele zu spielen und – durchaus solide – zu singen. Auf charmante Weise binden sie auch immer wieder Zuschauer aus dem Publikum in ihr Programm ein, zum Beispiel mit dem Ständchen „Can't help falling in love“ von Elvis.

Nur ganz zum Schluss gehen ein paar der vielen einzelnen Gag-Episoden ein wenig die Puste aus, was aber der temporeichen Darbietung im Ganzen keinen Abbruch tut. Die Kraft des Duos besteht darin, die freiheitliche Atmosphäre der Straße, auf der sie normalerweise auftreten, mit ihrem unkonventionellen und zugleich klassischen Clownshumor auch auf die Bühne in der Schiffbauergasse zu holen. Mit viel Applaus und Jubel wird das Duo darum auch von den Zuschauern verabschiedet, die sichtlich gut gelaunt das T-Werk verlassen. Kunst, mit der ein Publikum lachend einen Abend wie im Flug verbringt, braucht eben kein Chichi – sie ist auch so ganz großer Zirkus.

>>Nächster Winterzirkus-Termin mit der Varietee-Show „Wow“ am 18. Januar um 15 Uhr und 20 sowie am 19. Januar um 15 Uhr und 19 Uhr im Waschhaus, Schiffbauergasse

Andrea Lütkewitz

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