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Potsdamer Theater-Festival: Für Jesus ist kein Platz im Kahn

Neville Tranter eröffnet die Geburtstagsfestivitäten zu 25 Jahren Unidram.

Potsdam - Das personifizierte Böse ist riesengroß. Mit funkelnden, roten Augen, gewaltigen Krallen und schwarzen Flügeln tritt der gewaltige Teufel am Freitagabend im T-Werk noch vor Gott auf. Und beide sind in dem Stück „Babylon“ von Neville Tranter auf der Suche nach der gleichen Person: INRI Corpus Christi, wie Satan verkündet. „Time has come“ posaunt der Gehörnte und seine Augen glühen kampfeslustig.

„Babylon“ bildet den Auftakt des Jubiläumsprogramms, mit dem das T-Werk in diesem Jahr 25 Jahre Unidram feiern wird. Das Programm ist noch nicht fertig, sagt Jens-Uwe Sprengel, der auch 2018 das Unidram-Festival leitet. Noch bis Mitte März könne man sich bewerben, um bei der 25. Auflage dabei zu sein. Aus den über 300 Bewerbungen werden dann wie immer die originellsten ausgewählt, um vom 30. Oktober bis 3. November in Potsdam gezeigt zu werden.

Sechs Gruppen bis Juni

Neu im Jubiläumsjahr ist, dass mit den aktuellsten Inszenierungen von Gruppen, die mit dem T-Werk schon länger verbunden sind, das Warten bis zum Festival verkürzt werden soll. Bis Juni werden nacheinander sechs Gruppen präsentiert – der niederländische Figurenspieler Neville Tranter machte mit seinen berühmten Klappmaulpuppen den Anfang. Diesmal schickte er Gott, seinen verlorenen Sohn und den Teufel an die Küste Nordafrikas.

Gott ist bei Neville Tranter zwar nicht tot, aber doch ziemlich in die Jahre gekommen – und mit zerzaustem Haupthaar und im weißen langen Hemd auch äußerlich auf dem besten Weg in die Senilität. Sein Helfer Uriel, der Engel des Lichts, ermahnt ihn, endlich einige Weltprobleme beim Schopfe zu packen, obwohl er schon lange weiß, dass gerade dies nicht auf der Agenda seines Herrn steht. Doch Uriel hat noch eine Botschaft, die langsam aber sicher auch den Dementen erreicht: Dein Sohn ist in Gefahr!

Das wirkt. Und so treffen sich Vater und Sohn nach mehr als zweitausend Jahren Abstinenz endlich in Nordafrika wieder. Der grünäugige, rothaarige Sohn, wie ein Hippie gewandet und immer noch an „love and peace“ glaubend, führt ein possierliches Schaf namens Binky mit sich, dem er nach den heißen Wüstenjahren frisches grünes Gras in Aussicht stellt. Nach „Babylon“ – ins gelobte Land – will der kindlich wirkende, gute Hirte mit Binky reisen, doch das letzte Boot dorthin ist schon lange voll.

Auf der Flucht

Neben Gottes gerade wiedergefundenem Sohn tummeln sich noch ein larmoyanter Jude mit Hündchen, eine uralt gewordene Scheherazade und ein alleinreisendes schwarzes Kind mit blonden Haaren am sonst menschenleeren Strand – sie alle sind vor irgendetwas oder irgendwem auf der Flucht und die gelobte Stadt ihre letzte Hoffnung.

Neville Tranter, der vor sechs Jahren mit „Mathilde“ und „Punch & Judy in Afghanistan“ bei Unidram gastierte, hat nichts von seinem bitterbösen Humor eingebüßt. In Bezug auf die Migrationsbewegungen der vergangenen zwei Jahre bleibt einem bei dem ständigen „Das Boot ist voll“- Gerede des arabischen Schleppers das Lachen geradezu im Halse stecken. Und wenn der siegesgewisse Satan „Somewhere“ aus der „West Side Story“ höhnisch krächzend anstimmt, kann man auch im Theater das Fürchten lernen.

Doch für Jesus, der vorhat, „zum zweiten Mal die Welt zu retten“ – was ihm der Engel seines Vaters im Traum ins Ohr geflüstert hat – ist kein Platz im Kahn und auch Tiere werden von den geldgierigen Kapitänen nicht befördert. Auf dem Höhepunkt des einstündigen virtuosen Puppenspiels, in dem Tranter alle acht Gestalten allein bewegt, weiß man nicht genau, ob man dies feiern oder betrauern soll. Denn: Dieser letzte Kahn wird bombardiert und geht unter – mit Mann und Maus.

Kleine Chancen

So einfach macht es Tranter seinen Figuren und auch den Zuschauern jedoch nicht. Wenn schon Gott nicht handelt, mutiert eben ein kleines Schaf zum Retter. Zumindest für den Sohn! Denn da Jesus und Binky unzertrennlich sind, landen sie nicht auf See, sondern im Gästezimmer nebenan. Und es besteht die klitzekleine Chance, dass der Sohn endlich den Vater beerbt. „My time has come“, sagt der Junge nicht nur einmal. Bleibt zu hoffen, dass diesem Wollen bald Taten folgen!

Nach „Babylon“ gratuliert am ersten Märzwochenende dann das Leipziger Figurentheater Wilde & Vogel, das gemeinsam mit dem Puppenspieler Christoph Bochdansky das Innereste von Genies erkunden wird.

Astrid Priebs-Tröger

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