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Hoch konzentriert. Die Tänzer wirken wie hybride Wesen.

© Paulo Pacheco/promo

Potsdamer Tanztage: Robben, Vögel, Roboter

„Lento e Largo“ feierte bei den Potsdamer Tanztagen seine furiose Deutschlandpremiere und beschäftigte sich mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Maschine.

Potsdam - Unglaublich, zu welchen Bewegungen ein menschlicher Körper fähig ist. In „Lento e Largo“, das am Donnerstag seine Deutschlandpremiere bei den Tanztagen feierte, liegen fünf Performer wie prustende Robben an Land, staksen wie kichernde Großvögel durch einen Urwald oder gleiten animalisch-elegant durchs Wasserbecken.

Alle sind nackt, sie tragen dunkelrote Hauben und klobige goldene Halsketten und die Schamgegend ist bei Frauen und Männern mit schwarzem Tape verklebt, was eine ungeheure Konzentration auf den Körper an sich ermöglicht. Doch diese, scheinbar dem Unterbewussten entsprungenen hybriden Wesen sind auf der Bühne nicht allein.

Zwei Miniroboter, bekleidet mit grünem Fell und Glitzerpanzer, und vier sirrende Drohnen gehören ebenfalls zu der unwirklich anmutenden Menagerie.

Verhältnis von Mensch und Maschine

Vor über einhundert Jahren untersuchten die Künstler des Bauhauses die Auswirkungen der fortschreitenden Technisierung, jetzt erforschen der Portugiese Jonas Lopes und der Brasilianer Lander Patrick – beide Ende der 1980er-Jahre geboren – ebenfalls das Verhältnis von Mensch und Maschine im fortschreitenden digitalen Zeitalter.

Und wie sie das in „Lento e Largo“ („Langsam und breit“) tun, ist vor allem aber nicht nur auf der körperlichen Ebene großartig und originell. Denn die fünf Tänzerinnen und Tänzer – die beiden jungen Choreografen tanzen selbst mit – erkunden in ihrer Expedition ins Tierreich grandios die Bewegungsmöglichkeiten des menschlichen Körpers. Besonders in der Horizontalen. Wie die kraftvollen Performer über den roten Bühnenboden schlängeln, robben oder kriechen, hat man so expressiv noch nicht gesehen.

Dann wieder sind sie wie in der Anfangsszene (Stammes-)Krieger, geben zu rituellem Trommelwirbel tierisch anmutende Laute von sich – es scheint, als habe sich der Mensch in „Lento e Largo“ von seinem menschenzentrierten Weltbild verabschiedet. Und sei – im Großteil der Aufführung des Sprechens nicht mächtig – wieder Teil des natürlichen Ganzen geworden. Ja, die Aufführung mutet an Stellen sogar an, als wolle sie den Prozess der biologischen Evolution nachfühlbar machen.

Possierliche Maschinen

Den Geist, die Stimmung, den Willen steuern in „Lento e Largo“ anscheinend die possierlichen Maschinen bei. So begrüßt nach dem rituellen Anfangstanz der putzig herumwuselnde und mechanisch knirschende Roboter das Publikum und lädt es ein, die Performance zu genießen. Später stellt er unzählige Fragen, die nur mit Ja oder Nein von den Anwesenden zu beantworten sind. Und die sirrenden Drohnen kreisen in der Dunkelheit über den am Boden Liegenden und intensivieren deren ekstatische Zuckungen.

Aber wer hat hier eigentlich das Sagen? Die verzerrte hohe Computer-Babystimme oder Mutter Natur? Klasse an „Lento e Largo“ ist, dass es nicht dystopisch wirkt. Einzige Ausnahme ist die scheinbare Empathielosigkeit der Performer beim Sterben eines von ihnen.

Doch auch hier täuscht man sich. Der einsetzende chorische Gesang hat viel mehr Seele als so manche menschliche Trauerfeier. Überhaupt die Tonspur! Auch sie ist ein Beleg dafür, wie vielschichtig synthetisierend Lopes und Lander gearbeitet haben: Vom Requiem György Ligetis über Bachs Toccata und Fuge in d-Moll bis hin zu „Worker’s union“ von Louis Andriessen waltet eine thematische und stilistische Vielfalt, wie sie nur natürliche Intelligenz – also Menschen – hervorbringen können. In diesem Sinne ist das Stück eine wunderbare Utopie, die nicht vordergründig einem „Zurück zur Natur“ huldigt, sondern zu einer humorvollen und skurrilen Reise zu unserem ungemein vielschichtigen Wesen einlädt, dessen technische Intelligenz nur ein kleiner Teil vom Ganzen ist.  

Astrid Priebs-Tröger

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