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Matias Pilet in der Tanzperformance "La Fuite" im Rahmen der Potsdamer Tanztage 2021 im Garten der fabrik.

© imago images/Martin Müller

Potsdamer Tanztage eröffnet: Die ganze Welt ein Zelt

Reminiszenz an Buster Keaton und Charlie Chaplin: Die Tanztage 2021 legten mit dem Clownsstück „La fuite“ los - zugleich der Startschuss des wiedererwachten Livebetriebs an der fabrik.

Potsdam - Er hat es nicht leicht, dieser Mann. Rennt sich die Seele aus dem Leib, ohne vom Fleck zu kommen. Wird von Regen durchnässt, vom Wind zerzaust, von einer Flut davongeschwemmt. Kaum ist er zuhause, steht dieses Zuhause auf dem Kopf, und der Mann mit ihm. Und dieses Heim gebiert Ungeheuer: Wird zur gefräßigen Muschel, zum Skorpion. Oder zum Ballkleid.

„La fuite“ heißt das Stück von Olivier Meyrou, mit dem die Potsdamer Tanztage 2021 ihr Liveprogramm eröffneten. Zunächst im Potsdamer Stadtteil Am Schlaatz, tags darauf open air in der Schiffbauergasse. Gedacht ist es für Menschen ab vier Jahren – aber durchaus unterhaltsam auch für Erwachsene. „La fuite“ ist ein Clownsstück, allerdings ohne rote Nasen und schenkelklopfende Schadenfreude – dafür mit einer guten Portion Melancholie im Handgepäck.

Reminiszenz an Buster Keaton und Charlie Chaplin

„La fuite“ ist unverhohlene Reminiszenz an die Urväter des Losertums im Film: Buster Keaton und Charlie Chaplin. Matias Pilet kommt anfangs durch die Zuschauerreihen auf die Bühne, wie zufällig, mit Jacke und Rucksack: ein Reisender, ein moderner Tramp vielleicht wie die Filmfigur von Urgroßonkel Chaplin? Dafür spricht das Zelt, in dem er bald Zuflucht findet (zumindest glaubt er das): In Paris sind Obdachlose oft in solchen Zelten untergebracht, sie gehören mit zum Stadtbild.

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Wer das im Hinterkopf hat, wird die Sprünge, das Gerenne, die Verrenkungen und Unwetter, die den Körper des stoisch dreinblickenden Mannes auf der Bühne (Buster Keaton lässt grüßen) durchschütteln, anders sehen. Wird lachen, wenn ihm das Haus davonweht, aber eben nicht nur. „La fuite“ ist dennoch alles andere als schwere oder verkopfte Kost. Es ist ein spielerisch, bisweilen akrobatisch zwischen den Genres mäanderndes Einmannstück: Irgendetwas zwischen Nouveau Cirque und Akrobatik, Tanz und Pantomime. Musik weht herein und wieder heraus, Wind, Regen und Vogelgeräusche spülen den Mann über die Bühne. 

Ein Stück über Corona?

Vielleicht ist es ja auch ein Stück über Corona: den Rückzug ins eigene Häuschen, den Versuch, alles andere draußen zu lassen, die Reglementierung des Alltags durch Klebebänder auf dem Boden.

Vor allem aber ist „La fuite“ der Startschuss des wiedererwachenden Livebetriebs an der fabrik in ihrem 30. Jubiläumsjahr: Nachdem „North Korea Dance“ Ende Mai nur gestreamt werden konnte, wird jetzt wieder live vor Publikum getanzt. Die Fortsetzung folgt am 3. Juli mit der Uraufführung von „101 Concrete“. 

Potsdamer Tanztage 2021, bis Dezember u. a. in der Schiffbauergasse

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