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Potsdamer Schreibtische: Augenblicke der Inspiration mit Helga Schütz

Die PNN stellten zehn Schriftsteller in der Reihe „Potsdamer Schreibtische“ vorgestellt – wo sie arbeiten, wie aus Erlebtem Literatur wird und welche Kraft die Wörter entwickeln. Zum Abschluss drei Fragen an die Autoren zur Ferienzeit – mit Empfehlungen für eine anregende Lektüre.

Wo und woran schreiben Sie im Sommer?

Wenn es ernst wird, sitze ich, ob Sommer oder Winter, am Schreibtisch, dann ignoriere ich das Wetter. Es ist gut, wenn es – wie dieses Jahr – jeden zweiten Tag regnet, ich spare das Gießen. Die Stauden und Büsche wachsen ohne mich. Unterwegs auf Reisen mache ich mir Notizen in ein kleines Vokabelheft. Ich schreibe auf, was ich sonst schnell vergessen würde. Zum Beispiel kürzlich auf der Reise, die ich mit meiner Enkelin nach ihrem Abitur unternommen habe, zwei Wochen Toronto, die Jagd nach einer Gedenkmünze, einem Toonie, der im Dunklen leuchtet. Es war in der Zeit der Feierlichkeiten zum 150. Geburtstag von Kanada. Kein Riesenspektakel.

Unsere Gastgeberfreunde nahmen kaum Notiz davon, auch nicht von dem leuchtenden Geldstück. Sie hatten es noch nirgends gesehen. Aber wir waren ganz versessen darauf. Man bekam es nicht, höchstens, wenn man Glück hatte, in einer Bank, wenn man Kunde war oder wenn eine besondere Gunst es wollte. Laura hatte sich ungefähr zehn Bankhäuser aufgeschrieben. Die klapperten wir ab. Und wirklich, wir hatten Glück! Dank einer einmalig konspirativen Kassenfrau, die eine Geldrollen nach der anderen aufriss, dann so lange in den Münzen rührte, bis sie den einzigen Toonie fand. Wert: zwei kanadische Dollar, hinten drauf das Meer und das Nordlicht, glow in the Dark! Nun brauchten wir aber noch eine Gedenkmünze für unsere Freunde. Eine Chance lag noch am Weg. Jetzt sag du aber mal gar nichts. Laura schob mich beiseite. Ich sollte am Banktresen hinten bleiben. Es war ein jüdisches Bankhaus. Wieder hatten wir Glück. Ich war hinten geblieben und Laura hatte ihre Bitte akzentfrei vorgetragen. Der jüdische Mann muss ja nicht wissen, dass wir aus Deutschland kommen. Sie strahlte, sie hatte eine Samtschachtel für das im Dunklen leuchtende Geld bekommen. Was mir durch den Kopf ging, habe ich nicht aufgeschrieben. Ich notiere im Heft nur Fakten.

Was lesen Sie im Sommer?

Ich habe „Der Prozess“ von Kafka wiedergelesen. Darauf habe ich mir die Ausstellung der 171 Manuskriptseiten im Gropius-Bau angesehen. Eine kleine vorzeitliche Schreibmaschine steht im Zentrum, aber Franz Kafka hat den Roman mit Feder und Tinte geschrieben. Zuerst springen die feinen Korrekturen ins Auge. Und dann geschieht die Rückwandlung, die Buchkapitel werden zum Text, zu fließenden Buchstaben. In seiner Handschrift fühlt man noch den Augenblick der Inspiration.

Zur Ausstellung lief der Prozess-Film von Orson Wells, ich hatte so viel vergessen, die von Romy Schneider gespielte Leni, diese Figur und der Name Leni war mir irgendwo im Gedächtnis geblieben, ich hatte den Namen, wie mir jetzt erst bewusst wurde, für eine Figur in "Die Kirschendiebin" geklaut.

Nahe bei mir steht ein Fotoband von Roland Gräf. Er hat in seinen letzten Lebensjahren die Landschaft und die Menschen des Fläming fotografiert, überhaupt aus manchen Fotos mittels moderner Technik, vor allem aber durch akribische Zauberei seine Bilder gemacht. Ich kann in diesen Bildern lange verweilen. Zum Dank für unsere Gespräche über letzte Dinge hatte er mir ein Buch mit Brandenburg-Gedichten geschenkt. Jetzt lese ich also Gedichte und denke, von Peter Hacks muss ich mehr lesen. Unbedingt Hacks lesen. Klug, charmant und manchmal bissig. Ein Quälgeist.

Welche Lektüre empfehlen Sie für den Sommer?

Ich empfehle Bücher, die alt sind, die man früher mal gelesen hat, die nun ganz oben im Regal stehen. Die Erinnerung kommt aus verschiedenen Richtungen, der Inhalt des Buches dämmert wieder, was einst aus dem Buch sprach, die damalige Lebenssituation mischt sich ein. Ist man nun ein anderer Mensch geworden, liegt es an der heutigen Zeit? Man wird beim Wiederentdecken zweifach überrascht, vom Buch und von sich selbst.

Ich möchte aber auch auf ein ganz neues Buch aufmerksam machen. Titel: Der unwiderstehliche Garten. Es ist eine Beziehungsgeschichte, in der uns die Schreiberin Barbara Frischmuth erklärt, welch verschworene Pflanzengemeinschaft ein Garten beherbergt. Ich folge gern dem Gedanken, dass sich das Dasein der Pflanzen sinnlich erweitert, wenn man als Hüter dazugehört oder wenigstens zum „respektablen Gegenüber“ wird. „Mir ist klar, dass die Bewohner des Gartens wesentlich besser über mich Bescheid wissen, als ich über sie“, sagt die Autorin. Es ist, weil sie weniger im Garten schuftet, schon aus Altersgründen – weniger Beete, weniger Töpfe, mehr Liebe.

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