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Peter Hartwig wurde 1964 in Babelsberg geboren, studierte dort, lebt dort.

© Andreas Klaer

Potsdamer Produzent Peter Hartwig: Ein anderer Systemsprenger

Einer Branche, die von Profit und Ellenbögen regiert wird, trotzt der Filmproduzent Peter Hartwig durch Kollegialität. Mit Erfolg – auch auf der Berlinale.

Potsdam - Wenn am Donnerstag die Berlinale beginnt und 18 Filme um die Bären rangeln, dann ist ein Mann aus Potsdam gleich doppelt mit dabei. Einmal ganz offiziell mit „AEIOU – Das schnelle Alphabet der Liebe“ als Ko-Produzent. Und einmal, verborgen, als Mitglied einer Filmfamilie, das diesmal nur weiter hinten in den Credits als Unterstützer auftaucht: bei „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“. Es ist der erste Spielfilm von Andreas Dresen, der sich weit aus Deutschland weg wagt.

Der Mann, um den es hier geht, heißt Peter Hartwig. Er ist Produzent – und lässt sich trotz Berlinale-Doppelauftritt auf keine Rangeleien ein. Beide Filme sind Herzenssache, warum aufregen? Dresen hätte er gern wieder begleitet – aber es fiel in eine Zeit, in der sein Körper ihm nahelegte, kürzer zu treten, und Hartwig hörte hin. Er pausierte. Seit 1993 hat er 65 Filme gemacht, als Produktionsleiter, Herstellungsleiter oder Produzent. Für „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ gab er dann nur etwas Geld dazu.

Herz und Seele - die Essenz des Produzentendaseins

Hartwig packt nur Dinge an, zu denen er mit Herz und Seele stehen kann, vielleicht kommt daher die Seelenruhe, die er ausstrahlt. Herz und Seele: Sie bilden für ihn die Essenz des Produzentendaseins. Und: „Sich selber treu zu bleiben.“ Dass dazu Respekt und Kollegialität gegenüber anderen gehören: für Hartwig keine Frage. Und doch seltene Tugenden in der Branche, das sagt auch Hartwig selbst. Wer Peter Hartwig begegnet, den verwundert es kaum, dass zwischen den Trophäen im Regal auch zwei Auszeichnungen als „Fairster Produzent“ stehen. Es heißt, er koche gern, am liebsten mediterran, manchmal für ein ganzes Set. Zur Treue zu sich selbst gehört für Hartwig auch: der Ehrgeiz, Filme zu machen, die gesellschaftlich relevant sind. Wer reich werden will, ist in dem Job falsch, sagt er. „Der soll Consultant werden.“

Peter Hartwig ist auch ein gefragter Porträtfotograf.
Peter Hartwig ist auch ein gefragter Porträtfotograf.

© Andreas Klaer

Für die sprichwörtliche Besetzungscouch ist weder in seinem Weltbild Platz, noch in seinem Büro. Klein, aber mit Weitblick. Es befindet sich auf dem Gelände des Studios Babelsberg. Sein Vater war hier Produktionsleiter, er selbst ging in den Defa-Kindergarten. Machte in den Studios erste Bekanntschaft mit Aufnahmeleitungen in Defa-Spielfilmen und 1983, bei Peter Schamonis „Frühlingssinfonie“, mit dem Filmglamour der BRD. Ein Foto mit Dank und Herzchen von Nastassja Kinski hat er heute noch griffbereit.

Hartwig wohnt immer noch in Babelsberg

1964 wurde er in Babelsberg geboren, heute wohnt er immer noch dort. Zum Studio sind es keine 15 Minuten. Man hat von Peter Hartwigs Büro mit etwas Fantasie nicht nur seine Vergangenheit im Blick, sondern auch die Arbeit derer, die das mit dem Reichwerden womöglich anders sehen. Auf dem Gelände werden Blockbuster wie „Matrix“ gedreht, und nebenan „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Von der Infrastruktur der Studios profitiert er – aber seine Filme entstehen nicht hier. Dafür sind die Budgets zu klein.

Nur das Nötigste an Personal und Kosten: Der Inbegriff dieses Ideals war Andreas Dresens „Halbe Treppe“ von 2001. Die Idee, das Projekt ohne Drehbuch anzugehen, kam von ihm, Peter Hartwig. Vorgebracht im Jahr 2000 bei ein paar Bier im Rostocker „Hotel zur Sonne“. Beseelt von dem Wunsch, allen unnötigen Ballast von Bord zu werfen, machten Hartwig und Dresen eine Liste von den Menschen, die bei einem Dreh unbedingt nötig wären. Normalerweise stehen da 40 bis 50. Sie kamen auf acht. Für das Ergebnis gewann Dresen 2002 den Silbernen Bären.

Die Verbindung zu Andreas Dresen reicht lange zurück, bis in die Studententage an der Filmuni, damals noch Hochschule für Film und Fernsehen. Für Dresens ersten Fernsehfilm „Das andere Leben des Herrn Kreins“ gründete Hartwig seine eigene Produktionsfirma kineo. „Kann ja nich so schwer sein“, dachte er damals und machte einfach. 1993 war das, im Jahr seines Abschlusses. Die Defa war da schon drei Jahre aufgelöst. In Hartwigs Erinnerung haftet dem Umbruch kein Schrecken an. Man hatte Lust, Neues auszuprobieren. „Und ich merkte schnell, dass Produzieren sich ähnelt, ob nun DDR, China oder BRD.“

Im zweiten Leben ist er Fotograf

Seit 1993 war Hartwig bei fast allen Dresen-Filmen dabei. Mal als Produktionsleiter, mal als Produzent. Von „Gundermann“, dem großen Erfolg von 2018, hängt ein Plakat hinter dem Schreibtisch. Es stammt von Hartwig selbst. Denn im zweiten Leben ist er Fotograf, seit 2013 sogar zertifiziert von der legendären Agentur Ostkreuz. Mit der Gründerin Ute Mahler hat er den Film „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ fotografiert, über die DDR-Modezeitschrift „Sibylle“, Filmstart ist am 6. Oktober. Hartwig ist gefragter Porträtfotograf – und er hat die Bilder für „Lieber Thomas“ und „Drei Tage in Quibéron“ gefunden.

Peter Hartwig (r.) neben "Gundermann"-Regisseur Andreas Dresen.
Peter Hartwig (r.) neben "Gundermann"-Regisseur Andreas Dresen.

© Manfred Thomas

„Gundermann“ begleitete er über zwölf Jahre, bis der Film endlich umgesetzt werden konnte. Was „Gundermann“ so stark macht, wie Hartwig sagt: Wie komplex hier die DDR sein darf, wie uneindeutig Gundermanns Rolle in ihr. Hartwig war selber in der SED, das sagt er allen, die es wissen wollen. „Ich wollte mitmachen, Dinge besser machen“, sagt er. „Naiv vielleicht, aber so war es eben. Das gehört dazu.“ Zeigen, wie vielschichtig das Leben ist: Das wollen alle seine Filme.

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Der Modebegriff dafür lautet Diversität. Auch Hartwig nutzt ihn. Aber für Hartwig ist Diversität mehr als per Quote zugeteilte Charaktere mit dunkler Hautfarbe oder nicht-heterosexueller Identität. Es geht darum, zu zeigen, wie das Leben ist – „und nicht in jeder Brandenburger Kita ist ein Schwarzes Kind zu finden“. Wo er eine Pflicht zur Norm spürt, regt sich bei ihm Widerstand. Mit Frauen arbeitet er ohnehin gern und oft – aber der Themen wegen. Wichtiger als eine Quote findet er die Frage, warum es unzählige Morde im Fernsehen gibt – obwohl das die Lebensrealität der wenigsten betrifft. Wie wäre es da mit mehr Diversität?

„AEIOU“ zeigt: „Alles ist möglich“

Peter Hartwig fragt auch: Wo bleiben die Menschen – die Frauen zumal – jenseits der fünfzig im Film? Hier kommt „AEIOU“ von Nicolette Krebitz ins Spiel, Hartwigs Beitrag bei der Berlinale. „Eine Liebeserklärung an Sophie Rois und die Schauspielerinnen ihrer Generation“, sagt er. Rois, gerade 60, spielt eine Schauspielerin, gerade 60 – die sich in einen Siebzehnjährigen verliebt. „Ein Film, der zeigt: Alles ist möglich“, sagt Hartwig. „Man weiß nie, was hinter der nächsten Tür wartet.“

Nora Fingscheidt, die Regisseurin von „Systemsprenger“, unterstützte Hartwig mit ihrem Spielfilmdebüt von Anfang an. Vorschussvertrauen zu verschenken, wo er selbst überzeugt ist: Für Peter Hartwig ist ein solcher Mut normal. Für den Filmbetrieb sonst eher nicht. Heraus kamen ein Silberner Bär, eine Oscar-Nominierung, insgesamt 28 Preise. „Es zeigt, dass man mit seiner Intuition nicht ganz falsch lag.“ Mit Nora Fingscheidt arbeitet er an einem Folgeprojekt, Inhalt noch geheim. Es ist nur eines von einem guten Dutzend, das er gerade auf dem Schreibtisch hat. In jedem einzelnen schon jetzt ein Stück Hartwig-Herz.

„AEIOU - Das schnelle Alphabet der Liebe“, Premiere am 13.2., „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“, Premiere am 12.2., jeweils im Berlinale-Palast. Weitere Termine unter www.berlinale.de

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