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Viele Zeichnungen entstanden, als Mehlitz unter anderem auf der Freundschaftsinsel oder im Regionalexpress unterwegs war.

© Ottmar Winter

Potsdamer Porträts: Schnappschüsse mit Bleistift und Papier

Der Potsdamer Martin Mehlitz porträtiert die Menschen der Stadt in seinem Buch „Schnellskizzen“ - und er gibt Anleitungen zum Zeichnen.

Potsdam - „Ein Maler muss die Zeichnung eines Mannes, der aus dem dritten Stock fällt, vollenden können, bevor dieser auf dem Boden aufschlägt.“ Diese Äußerung, die der französische Maler Eugène Delacroix einst getätigt haben soll, zitiert Martin Mehlitz zu Beginn seines Buches „Schnellskizzen – Anleitung und Inspiration zum schnellen Zeichnen“. Natürlich ist dieser Ratschlag nicht ganz ernst gemeint, doch er gibt durchaus die Haltung wieder, die der Potsdamer Maler in seiner ersten Buchveröffentlichung vermitteln will: Zeichnungen, die schnell und quasi „im Vorbeigehen“ entstehen, besitzen den Reiz des Spontanen und können mitunter genau viel Ausdruckskraft besitzen, wie ausgearbeitete Porträts.

So manche Potsdamerin und so mancher Potsdamer könnten unbewusst schon für Mehlitz Modell gestanden oder gesessen haben, denn viele der Figurenzeichnungen in „Schnellskizzen“ sind entstanden, als der Künstler mit Heft und Bleistift bewaffnet auf der Freundschaftsinsel, am Jungfernsee, in der Tram oder im Regionalexpress nach Berlin unterwegs war. Seit August 2018 veröffentlicht Mehlitz einige seiner Zeichnungen auf Instagram; einige der besten hat er nun für sein Buch ausgewählt, in dem der Künstler seine Herangehensweise erläutert und die Leser:innen in verschiedenen Übungen dazu ermuntert, selbst zum Stift zu greifen.

Mehlitz beherrscht die Kunst des Weglassens

Mit wenigen Strichen wirft Mehlitz seine analogen Schnappschüsse aufs Papier: Eine Frau, die in der Bahn auf ihr Handy starrt, ein Vater mit Babytrage, Pärchen beim Sonnenbaden, ein in seine Zeichnung versunkenes Kind. Es sind normale, unspektakuläre Alltagsszenen, die trotz ihres Skizzencharakters erstaunlich ausdrucksstark wirken – oder gerade deswegen: Mehlitz beherrscht die Kunst des Weglassens, die Konzentration auf das Wesentliche, durch die seine Zeichnungen bisweilen die Direktheit von Karikaturen oder Comics besitzen. Kein Wunder, dass er explizit Heinrich Zille als Vorbild nennt, welcher Berliner Straßenszenen mit all seinen Typen ebenso liebens- wie glaubwürdig einzufangen wusste.

Der Versuch, Potsdam zu porträtieren, ist nicht neu für Mehlitz: Gemeinsam mit dem Bildhauer Marcus Golter hatte er im vergangenen Jahr unter dem Titel „Potsdamer Köpfe“ 20 Persönlichkeiten der Stadt in Szene gesetzt. Seine Schnellporträts sind gewissermaßen das Gegenstück dazu: Statt bekannter Individuen bilden nun anonyme Passant:innen das Gesicht der Stadt.

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Wer es selbst einmal probieren möchte, dem gibt der Autodidakt Mehlitz einige Übungen und Ratschläge mit auf den Weg: Nicht den Anspruch auf Vollständigkeit oder Realismus verfolgen, sondern nur die Details herausarbeiten, die einen interessieren, zum Beispiel die Körperhaltung, die Fußstellung, ein Kleidungsstück, die Frisur oder eine Tätigkeit. Geübte Zeichner:innen sollten ihr Wissen über Anatomie kurz vergessen und sich nicht verkopfen: „Zeichnen sie das, was sie sehen, nicht das, was sie wissen“, schreibt Mehlitz. Um die Spontaneität zu steigern, empfiehlt er die Verwendung von breiten Tuschestiften, „um garantiert nicht genau zu arbeiten“. Mut zur Lücke und Verzicht auf Korrekturen – auf diese Weise entstünden lebendige Momentaufnahmen, so Mehlitz.

Künstler Martin Mehlitz.
Künstler Martin Mehlitz.

© Andreas Klaer

Ein soziales Experiment

Anders als im Atelier, wo man Modelle oder Fotos als Vorlage benutzen kann, zeichnet der Künstler immer wieder in der Öffentlichkeit Menschen, die er nicht kennt – und ihn ebenso wenig. Manche zeigen leichten Argwohn, wenn sie bemerken, dass sie gerade gezeichnet werden, schreibt Mehlitz über eine Situation in der Bahn: „Zu Beginn dieser ’außerordentlichen Sitzung’ gibt sich mein Modell ahnungslos und doch ein wenig verunsichert, während die übrigen Fahrgäste die veränderte Situation durchaus unverblümt zur Kenntnis nehmen“, schreibt er. „Nach kurzer Zeit scheint mein ’Modell’ einverstanden und freut sich still. Sie ist gemeint!“ Erstaunlicherweise verlange kaum jemand der Porträtierten im Anschluss, die Zeichnung zu sehen.

Es sind nicht nur die Ergebnisse, die den Künstler an den schnellen Skizzen reizen, sondern auch das soziale Experiment: „Es ist ein wunderbares kleines Abenteuer im Alltag und ein Heilmittel gegen Gleichmut“, so Mehlitz. Und für die Leser:innen vielleicht eine Inspiration, einmal das Handy in der Tasche zu lassen, und stattdessen mit Stift und Papier zu „fotografieren“.

Martin Mehlitz: „Schnellskizzen – Anleitung und Inspiration zum schnellen Zeichnen“, Edition Michael Fischer, 144 Seiten, 20 Euro

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