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Potsdamer Orgelsommer: Annäherungen im Mittelschiff

Der Orgelsommer 2018 lässt zeitgenössischen Tanz auf Musik von Nikolaus Bruhns und Johann Sebastian Bach los. Mit ambivalentem Ergebnis.

Auf seinen nach akustischen Bestbedingungen ausgewählten Stammplatz im Mittelschiff der Erlöserkirche musste diesmal verzichten, wer am Mittwoch der Orgelsommer-Offerte „Tanz und Orgel“ lauschen wollte. Denn diesmal gibt es (nach der Mesalliance zwischen Stummfilm und Orgel am vergangenen Mittwoch in der Friedenskirche) wieder etwas zum Sehen und Hören. In Zusammenarbeit mit der fabrik Potsdam sollen Tanzimprovisationen dem „Improvisationen“-Motto des Orgelsommers hilfreich zur Seite treten.

Apropos Seite. Sitzplätze sind nur auf den seitlichen Emporen und ab den zweiten Reihen der Seitenschiffe und unterhalb der Orgelempore vorgesehen. Warum diese Einschränkungen? Man solle sich überraschen lassen, so raunen die publikumsbetreuenden Kirchenauguren. Unterdessen lässt ein Blick auf den Programmzettel die Struktur des Angebots erkennen. Zwei Praeludien der Zeitgenossen Nikolaus Bruhns und Johann Sebastian Bach, jeweils in e-Moll stehend, bilden die Klammer für die im Zentrum stehenden „Litanies“ von Jehan Alain (1911–1940). Dazwischen sind Improvisationen des Chemnitzer Organisten Steffen Walther annonciert.

Quirlige Akkordfolgen, garniert von pantomimisch geschulten Tänzern

Und der steigt mit klanglicher Opulenz ins Bruhns’sche Praeludium ein, das in eine gravitätisch einherschreitende Fuge mündet – zunächst in gedeckten Farben, dann gefolgt von schnarrend scharfen Prinzipalstimmen. Nach einer gebührlichen Pause, den Schluss des Stückes bekräftigend, beginnt eine quirlige Akkordfolge, garniert von pantomimisch geschulten Tänzern, die man wohl besser als Performer bezeichnen sollte. Wer im linken Seitenschiff sitzt, sieht die entsprechenden Aktionen auf der rechten Seitenempore. Über ihm ist wohl auch ein Performer zugange, von dem man allerdings nur das Stammeln von Silben vernimmt. Was jene Linkssitzenden erblicken, sind Armarbeiten und geschmeidige Körperwendungen hautnah am Publikum entlang. Ach ja, die Musik tönt dabei weiter: Es werden wohl die Waltherschen Improvisationen über das Bruhns’sche Opus gewesen sein.

Fast nahtlos folgen Klänge, die der Kenner sogleich als die von Jehan Alain und seinem Orgelwerk „Litanies“ einordnet. Dissonante, anschwellende, angstvolle Akkordballungen sind es, die mit tiefen Registern zu vibrierenden Klangflächen verschmelzen. Das knapp vierminütige Stück beruht auf einem Thema von Achtel- und Viertelnoten, das in immer neuen Variationen erscheint, die litaneiartig wiederholt werden und sich ekstatisch steigern. Fast nahtlos schließen sich die Improvisationen des Organisten an, die von den Performern spontan und assoziationsreich kommentiert werden. Entlang des Mittelgangs gibt es große Gesten und Schrittfolgen, gegenseitige Abweisungen und Annäherungen.

Sie entern Mittelschiffreihen, balancieren in äußerst unbequemen akrobatischen Aktionen voller staunenswerter Spreiz-, Dehn- und Streckübungen über die Leseablagen hinweg. Schließlich finden sie sich zum körperwindungsreichen Pas de deux et trois im Altarraum zusammen, um nach wilder Verfolgungsjagd durch die Reihen wieder auf die Emporen zu entfliehen. Übrig bleiben gläserne, gleichsam tropfenförmige Klänge. Denen folgt Bachs Praeludium nebst Fuge: tempozügig, klangherb und beherrscht von scharfen Prinzipalstimmen. Auf der Orgelempore turnt es indes weiter. Anerkennender Beifall, dennoch lässt sich der erstrebte künstlerische Mehrwert des Projekts leider nur erahnen. 

Peter Buske

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