zum Hauptinhalt
Neue Einblicke. Das Potsdamer Theater Nadi zeigte in der 13. Langen Nacht der freien Theater einen Vorab-Ausschnitt aus seinem neuen Stück „Tanz der Großen Mutter“. Es ist hochaktuell: Thema ist Heimat und deren Verlust.

© Charlotte Müller

Kultur: Potsdamer Nabelschau

Die 13. Lange Nacht der freien Theater präsentierte hauptsächlich Potsdamer Gruppen

Jedes Jahr im Mai lädt das T-Werk in der Schiffbauergasse zur Langen Nacht der freien Theater ein. In einem sechsstündigen Programm zeigen Theatergruppen aus dem Land Brandenburg Kostproben ihres Repertoires. So auch am vergangenen Wochenende. Am Samstagabend fand die 13. Ausgabe dieser Theater-Leistungsschau von 18 bis 24 Uhr im T-Werk und auf Open-Air-Bühnen im Schirrhof statt. Doch diesmal waren nur zwei freie Gruppen dabei, die nicht in der Potsdamer Schiffbauergasse zu Hause sind: das theater 89, in Niedergörsdorf beheimatet, und das Wandertheater Ton und Kirschen, in Werder und der Welt zu Hause.

Auch Jens-Uwe Sprengel vom T-Werk bedauerte die diesjährige Potsdam-Konzentration und erklärte dies unter anderem damit, dass kleinere freie Gruppen aus dem Land kaum die Ressourcen dafür hätten, für einen halbstündigen Ausschnitt aus einem Stück Extraproben anzusetzen, nach Potsdam zu reisen und ohne Gage zu spielen. Wie beispielsweise die „Flunker-Produktionen“ aus Wahlsdorf, die gerade an einer neuen Inszenierung arbeiten, die im Juli bei „Stadt für eine Nacht“ Premiere feiern wird.

Sprengel nahm die Eröffnung der Langen Nacht der freien Theater auch zum Anlass, noch einmal für die Erhöhung der Fördersumme für die Freien Theater durch das Brandenburger Kulturministerium zu danken. Ab 2017 stehen in Zukunft pro Jahr insgesamt 350 000 Euro mehr zur Verfügung. Diese sollten nach dieser Leistungsschau nicht nur dazu dienen, die solide gewachsenen Strukturen zu stärken, sondern auch dazu verwendet werden, nachwachsende Talente im ganzen Land zu entdecken und zu fördern. Denn ein wenig mehr „junges Blut“ täte der inzwischen etablierten freien Szene ausgesprochen gut.

Diese unterteilt sich in mehrere Gruppen. Leuchttürme wie theater 89 und Ton und Kirschen ragen aus einem soliden Mittelfeld heraus. Die Inszenierung „Hafthaus“, basierend auf den Erinnerungen und Texten von Ralf-Günter Krolkiewicz, ist inzwischen sieben Jahre alt, war mehrfach in Potsdam zu sehen und hat doch nichts von ihrer existenziellen Wucht verloren. Katrin Schwingel als Nina und Matthias Zahlbaum als Alex lassen einen auch jetzt nicht unberührt, wenn sie die Briefe aus dem DDR-Stasigefängnis und die Antworten der Freundin draußen zu Gehör bringen, respektive den dramatischen Gefühlen der Schreibenden Raum geben. Diese kann man mühelos in die Gegenwart übersetzen, in der noch immer Menschen durch Kriege, Flucht und Vertreibung getrennt werden.

„Präsidentinnen“ von Werner Schwab entwickelt diese unmittelbare Resonanz leider nicht. Die drei Klofrauen Grete, Erna und Mariedl, gespielt von Mathias Iffert, Rüdiger Braun und Stefan Reschke, räsonieren über ihr vergangenes Leben, menschlichen Dreck und sexuelle Beziehungen – doch die Inszenierung des Theaterschiffs zündete nicht wirklich auf der Probebühne. Vielleicht wäre die vielgelobte Inszenierung „Nathan, der Weise“ vom Poetenpack, die parallel dazu zu sehen war, die ergreifendere Alternative gewesen?

Aber: Wer die Wahl hat, hat die Qual - wie immer bei solchen Formaten. Gegen 20.30 Uhr gab es die erste Open-Air-Aufführung im Schirrhof zu sehen. Hier präsentierte sich, wie auch bei den jährlich stattfindenden Schirrhof-Nächten, das Neue Globe Theater mit den „Räubern“ von Friedrich Schiller – oder besser: mit 20 Minuten daraus. Der geplante Vatermord wurde mit einigem Tamtam über die Bühne gebracht, die hier fast ausschließlich dazu diente, auf die kommenden eigenen Produktionen hinzuweisen. Zum Glück wird dieser Messecharakter, der sich in einer gut konsumierbaren Häppchenkultur verliert, im nächsten Jahr aufgebrochen. Ab 2018 soll es ein ganzes Wochenende mit herausragenden Produktionen freier Theater aus Brandenburg geben, die dann die gesamte Inszenierung zeigen und gegen Gage spielen dürfen. Auch ein Familienprogramm ist laut Jens-Uwe Sprengel geplant.

Schön war, dass auch in diesem Jahr unter den Inszenierungen welche waren, die sich noch im Entstehungsprozess befinden. Noriko Seki vom Theater Nadi arbeitet momentan an dem „Tanz der Großen Mutter“ – einem Masken(tanz-)theater mit Musik – frei nach Clarissa Pinkola Estés. Die mexikanische Ethnologin hat in klinischer Psychologie promoviert und ist als jungianische Psychoanalytikerin tätig. Ihr Bestseller „Wolfsfrau“ machte sie über Nacht berühmt. Ihr Buch „Tanz der Großen Mutter“ beschäftigt sich mit dem Potenzial der reifen Frau. Und was die Japanerin Noriko Seki dazu auf der Probebühne zeigte, berührte nicht nur mit seiner ungewöhnlichen Formensprache, sondern griff auch ein wichtiges gegenwärtiges Thema auf: Heimat und deren Verlust, Weggehen und Ankommen.

Gegen 22 Uhr war der Schirrhof ganz in Dunkelheit getaucht. Und die Mimen von Ton und Kirschen zeigten, welch ungeheure Präsenz sie mit ihrer Produktion „Bartleby, der Schreiber“ auch unter freiem Himmel entwickeln können. Viele der insgesamt 200 Besucher der Langen Nacht waren bis dahin geblieben. Mehr aufzunehmen war kaum möglich. Und zum Abschluss wurde noch eine weitere Arbeit in ihrem Entstehungsprozess gezeigt: „the other one“, eine Tanz-Musik-Performance von Laura Heinecke und Nicolas Schulze.

Die Zwischenpausen fühlten sich diesmal recht lang an – wurden aber versüßt durch die ambitioniert-verspielte Filminstallation „Überdruck“ des Potsdamer Theaterkollektivs Kombinat, zu sehen in einem weißen Zelt auf zwei großen Monitoren.

Astrid Priebs-Tröger

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false