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Tausendsassa. Der 69-jährige Gisbert Näther komponiert Werke eher als Auftrag denn auf Verdacht. So auch geschehen bei seiner Fantasie für Flöte, Horn und Orgel über das geistliche Lied „Nun freut euch, lieben Christen g’mein“, dessen Text und Melodie Martin Luther anno 1523 geschrieben hat. Am Samstag wird das Werk uraufgeführt.

©  Andreas Klaer

Potsdamer Komponist Gisbert Näther: Der Notenfinder

Umtriebig und stiltreu – der international bekannte Potsdamer Komponist Gisbert Näther im Porträt.

Potsdam - Ob orchestrales Opus, kammermusikalische Preziose oder schulmusikalisches Prüfungsstück – vielseitig, fleißig und fantasievoll, geist- und ideenreich ist er schon, dieser notenfinderische Tausendsassa Gisbert Näther. Er ist Potsdams auch international bekannter Vorzeigekomponist. Seine Werke sind nicht auf Verdacht, sondern ganz gezielt entstanden: zu speziellen Anlässen, für bestimmte Solisten und Ensembles. So auch geschehen bei seiner Fantasie für Flöte, Horn und Orgel über das geistliche Lied „Nun freut euch, lieben Christen g’mein“, dessen Text und Melodie Martin Luther anno 1523 geschrieben hat.

Dieses balladenartige Erzähllied ist einst allerdings nicht für Kirche und Gottesdienst, sondern als reformatorisches Volkslied für Markt und Straße bestimmt, gesungen von Händlern, Handwerkern und Mägden. An der Ausbreitung des reformatorischen Gedankengutes hatte es erheblichen Anteil. Wie passend, dass es seit Jahresbeginn an der Potsdamer Friedenskirche das Projekt „Luther-Choräle im Wandel der Zeit“ gibt, das als vierteilige Predigtreihe sich mit verschiedenen Choralbearbeitungen von Johann Sebastian Bach bis zu Max Reger sowohl musikalisch als auch theologisch beschäftigt. Gisbert Näther hat sich für das Vorhaben den „Nun freut euch“-Choral zur Neudeutung ausgewählt. Am Samstag wird es in der Friedenskirche durch das „Ensemble a tre“ mit der Flötistin Birgitta Winkler, dem waldhornblasenden Komponisten und Organist Matthias Jacob uraufgeführt. Die werkausdeutende Predigt hält Pfarrer Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD). Zusätzlich erklingen Max Regers Romanze G-Dur, die Choralbearbeitung „Ein feste Burg“ vom Österreicher Maximilian Krenz und die Triosonate F-Dur von Barockkomponist Johann Christoph Pepusch.

Warum sich Gisbert Näther gerade für dieses Lutherlied interessiert hat? Eine Pflichtübung sei es ihm nicht gewesen, eher eine pragmatische Entscheidung, sagt der Komponist. Schließlich absolviere das Ensemble viele Kirchenauftritte, brauche daher viele passende Stücke. Da diese eher rar seien, schreibe er eben selber welche. „Gerade dieses Lied ist mir ein besonderer Anreiz gewesen“, sagt Näther, „weil der Anfang, bestehend aus drei Quarten, für damalige Zeit sehr modern war und eine enorme Signalwirkung ausstrahlt. Ich dachte mir, mit diesem Motiv könnte man sehr viel anfangen.“ Auch böte der Text mit einem Ich-Erzähler, dem Teufel, Gott Vater, Sohn und Heiligem Geist sowie den guten Werken und wundertätigen Erlösungsgedanken viele Möglichkeiten zu einer zeitgemäßen Ausdeutung.

Gisbert Näther geht mit dem Motiv sehr frei um, lässt Teile davon die Bassbegleitung übernehmen, verändert es mit Hilfe von kontrapunktischen Satztechniken, schneidert ihm gleichsam ein neues Klanggewand. „Der Choral wird auf der Orgel in hohen Lagen gespielt, das Horn liefert dazu die Kontraststimme, während die Trillerketten der Flöte virtuose Ausschwenkungen um den Choral winden“, sucht der Komponist das achtminütige Werk zu beschreiben, das „über weite Strecken im Pianissimo erklingt, wodurch Sphärisches entsteht“.

Dass Gisbert Näther keinen kompositionstechnischen Modetrends folgt, sondern sich und seinem Stil stets treu bleibt, zeichnet seine Werke aus, die zweifelsfrei modern, aber dennoch ausgesprochen ohrenfreundlich sind. Sie sprechen Herz und Hirn gleichermaßen an. „Ausschlaggebend für mich ist die Idee von einem Werk, die innere Klangvorstellung, die ich habe, bevor ich anfange zu schreiben. Dann suche ich nach den bestmöglichen Mitteln, sie zu verwirklichen.“ Und so gehören Klarheit in den Strukturen, bestimmte Tonabläufe und originelle Intervallfolgen zu seinem tonsetzerischen Handwerkszeug, das er sich – zusammen mit einem Hornstudium – an der Dresdner Musikhochschule erwarb.

Kurzum: So vielschichtig wie seine Musiksprache, so vielseitig ist sein Œuvre. Unter anderem hat er das mittelalterliche Reimgedicht des „Stabat mater“ zu einem emotional hochgespannten Klagegesang geformt, ein festlich verspieltes und dissonanzenreiches „Präludium festivum“ zur Woehl-Orgelweihe geliefert, ein spielfreudiges und supervirtuoses Klarinettenkonzert geschrieben und Claudia Stein, Soloflötistin der Staatskapelle Berlin, ein zartgliedriges Klanggewirk überreicht.

Zu Dauerbrennern sind die „Prinzen-Suite“ (nach Saint-Exupery) und die Geschichte um „Max und Moritz“ geworden. Für die zeitgenössische Schulmusik hat er außerdem wesentliche Beiträge mit einer Fülle von Übungsstücken geliefert. Das Schlichte zu komponieren ist dabei durchaus anspruchsvoll. „Es ist gar nicht so einfach, Stücke für Kinder zu schreiben, da muss man ganz konzentriert arbeiten“, meint der agile 69-jährige, aus der Oberlausitz stammende und seit 1973 gemeinsam mit Gattin Gabriele in Potsdam ansässige Unruheständler. Die einstige Sopranistin ist nach wie vor als Konzert- und Liedersängerin unterwegs, während ihr Mann auf Drängen einiger ausländischer Blasorchester seinen „Max und Moritz“ für sinfonisches Blasorchester bearbeiten soll und auf die Uraufführung seines Hornkonzerts, eventuell bei den Hofer Sinfonikern, wartet.

„Ein neues Lied wir heben an“ – Predigtreihe mit Näther-Uraufführung am Samstag um 16 Uhr, in der Friedenskirche

Peter Buske

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