zum Hauptinhalt

Potsdamer Jedermann-Festspiele: Pompös altbacken

Bereits zum zweiten Mal veranstaltet die Volksbühne Michendorf die Potsdamer "Jedermann"-Festspiele in der Nikolaikirche. Auch die diesjährige Inszenierung bleibt hinter ihren Möglichkeiten.

Von Sarah Kugler


Potsdam - In den dunklen Augenhöhlen kann man sich verlieren. So eindringlich blicken sie von der Kirchenkuppel herab, mit dunklem Glimmen über einer grinsenden Zahnreihe. Ein überdimensionierter Totenkopf schwebt am Donnerstagabend in Form einer beeindruckenden Lichtinstallation in der Kuppel der Nikolaikirche. Sie ist eine von mehreren Projektionen, die als Bühnenbild für die diesjährige Inszenierung der Potsdamer Jedermann-Festspiele dienen. Bereits im zweiten Jahr bringt die Volksbühne Michendorf das Stück von Hugo von Hofmannsthal an mehreren Terminen auf die Bühne und eifert damit dem Jedermann-Trend aus Salzburg nach. Am Donnerstag fand die Premiere in der Kirche auf dem Alten Markt statt.

Beworben wurde die Inszenierung im Vorfeld vor allem mit bekannten Namen aus Film und Fernsehen, wie Timothy Peach oder Natalie O’Hara. Nachhaltigen Eindruck hinterlässt dann aber doch Sängerin Georgette Dee als Tod. Unter dem grinsenden Totenschädel tritt sie, in einen schwarzen Schleier gehüllt, an den Protagonisten Jedermann heran und möchte ihn mit sich ziehen. Denn darum geht es hier im Wesentlichen: Jedermann, der ein lasterhaftes Leben in Saus und Braus führt, sieht sich plötzlich mit dem Tod konfrontiert und sucht jemanden, der mit ihm vor Gottes Gericht tritt, sich für ihn einsetzt. Das entpuppt sich als schwierige Angelegenheit, schließlich hat er Zeit seines Lebens nicht viele gute Taten begangen. Am Ende findet er – welch Überraschung – zum Glauben zurück und tritt als geläuterter Christ in sein Grab. 

Georgette Dee ist eine Todesdiva

Unter der Regie von Christian A. Schnell wird die Geschichte nun im modernen Gewand durchdekliniert, was eigentlich nur schiefgehen kann. Denn modern ist an diesem durch und durch christlichen Stück nun wirklich nicht viel. Hugo von Hofmannsthal stellt dem Stück selbst die Bemerkung voran, dass Jedermanns Geschichte als Märchen gesehen werden soll und unter dieser Voraussetzung würde es funktionieren. Doch dazu fehlt es der Inszenierung insgesamt an Selbstironie, an kitschiger Wärme. 

Lediglich Georgette Dee bringt davon genug mit, um emotional etwas auszulösen: Wie sie ihre todesbringenden Drohungen zischelt, dann wieder schmeichelnd spricht, um im nächsten Moment gleichgültig davon zu stolzieren, ist herrlich anzusehen. Eine Todesdiva ist sie, wunderbar überzeichnet und doch geerdet genug, um zu überzeugen.

Die Installationen von Daniel Bandke sorgen für intensive Atmosphäre in der Nikolaikirche.
Die Installationen von Daniel Bandke sorgen für intensive Atmosphäre in der Nikolaikirche.

© Carsten Böttinger

Emotionen bleiben auf der Strecke

Überzeugend ist auch Timothy Peach als Jedermann – zumindest zu Beginn. Den Lebemann gibt er hingebungsvoll gleichgültig und vergnügungssüchtig. Besonders schön: eine Installation zu Beginn des Stückes, die den durch Potsdam torkelnden Jedermann zeigt, bis er schließlich in der Nikolaikirche ankommt. Kaum ist seine Figur aber mit dem Tod konfrontiert, verliert sich sein Spiel im heftigen Haareraufen und Schreien. Differenzierte Emotionen bleiben dabei auf der Strecke, Jedermanns Verzweiflung lässt einen kalt, seine göttliche Bekehrung sowieso.

Max Schautzer als Glaube und Gott gibt seine Figuren erwartbar bedächtig, aber durchaus angenehm, Hartmut Guy hingegen spielt seinen Teufel als Rumpelstilzchen, das mehr nervt als belustigt. Mal abgesehen davon, dass von Hofmannsthals Reime auf der Bühne rhythmisch etwas holpern und sich dank der Mikrofone oft unverständlich im Hall vernuscheln. Ein kleiner Lichtblick: Natalie O’Hara, die sich als Jedermanns Geliebte zwar vor allem hübsch im Kreis drehen darf, das aber charmant tut und ihre Sorge um den immer mehr entrückenden Jedermann glaubhaft darstellt.

Märchenhafte Lichtinstallationen

Weniger glaubhaft ist hingegen der so altbacken belassene Stoff Hugo von Hofmannsthals. Zwar mag das Bild eines hartherzigen reichen Mannes auch heute noch nachdenklich stimmen, die starke Betonung der christlichen Läuterung, die Rettung durch einen starken Glauben, wirkt jedoch in der Gegenwart eher zynisch. Damit aus der Geschichte noch irgendeine Art von Gefühl gezogen werden kann, fehlt der Mut, weniger gegenwärtige Passagen zu streichen und sich auf den Gewissenskonflikt Jedermanns zu konzentrieren. Oder eben eine märchenhafte Überhöhung des Stoffes auszuprobieren, die sich selbst nicht allzu ernst nehmen muss.

Dabei wird das mit den wuchtigen Installationen von Daniel Bandke so wunderbar angedeutet. Kitschig sind sie allesamt, ohne Frage. Aber eben irgendwie auch märchenhaft schön. Besonders die Illusion des aufbrechenden Kirchendaches, durch das Sonnenlicht hineinflutet, wenn Jedermann das Vaterunser betet, ist einfach großartig drüber. Genauso die sich drehenden Zahnräder oder der große Totenschädel, der fast schon zu viel vom eigentlichen Bühnengeschehen ablenkt. So sehr, dass das zahlreich erschienene Publikum immer wieder Handys oder Kameras zückte, um die Spektakel an der Kirchendecke festzuhalten. 

Überhaupt muten die Potsdamer Jedermann-Festspiele sehr volkstümlich an: mit Currywurststand vor der Kirche und einem Merchandisestand, der etwa Jedermann-Buttons anbietet. Das ist alles nett, passt auch zum Rummel im Lustgarten nebenan und möchte wohl den Eventcharakter frühneuzeitlicher Theaterbesuche nachahmen. Zum pompösen Kirchenbau von Sankt Nikolai möchte das alles aber nicht so recht passen. 

>>Nächste Vorführungen am  18., 19. und 20. Oktober jeweils um 20 Uhr in der Nikolaikirche. Weitere Termine unter http://jedermann-potsdam.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false