zum Hauptinhalt

Potsdamer Filmfestival "Sehsüchte": Ein wenig Wahnsinn gehört dazu

Am morgigen Mittwoch beginnt das 44. "Sehsüchte"-Festival für Studentenfilme. Alle Infos und Hintergründe hier noch einmal zum Nachlesen!

Potsdam - Kinder schlägt man nicht. Auch keine kleine Ohrfeige. Wozu das führen kann, ist in dem Schweizer Kurzfilm „Discipline“ von Christophe M. Saber zu sehen. Die Ohrfeige eines Vaters, gedacht als disziplinarische Maßnahme, löst in einem kleinen Supermarkt eine absurde Kettenreaktion aus. Am Ende geht es gar nicht mehr um die Ohrfeige, dann beschimpfen sich sogar Migranten untereinander, wer das bessere Arabisch spricht und Autospiegel werden abgetreten. Das Ganze artet in eine Massenschlägerei aus. Während sich die Erwachsenen streiten, freut sich das Mädchen: Sie hat mittlerweile nicht nur den Lutscher gegessen, der Auslöser der Backpfeife war, sondern sich auch ausgiebig in der Süßigkeiten-Sparte bedient. Disziplin ist es, die am Ende allen fehlt.

Der Film ist einer von 100 Nachwuchsfilmen aus 28 Ländern, die ab kommendem Mittwoch beim 44. Potsdamer Studentenfilmfestival „Sehsüchte“ an der Filmuniversität Babelsberg zu sehen sind (22.–26. April). Er signalisiert zugleich einen Trend unter den 1124 eingereichten Filmen und Drehbüchern: Im Gegensatz zum Vorjahr stehen in diesem Jahr hauptsächlich junge Menschen und Kinder im Mittelpunkt vieler Filme. „Hinzu kommt die Betonung des Politischen“, erzählt Myriam Musolff von der Programmgruppe. So etwa auch in dem chilenischen Animationsfilm „Muerte Blanca“ von Roberto Collio, der den Tod von 44 Soldaten, die in den chilenischen Anden in einem Schneesturm geraten waren, thematisiert – ganz ohne Worte, nur mit Bildern und Geräuschen. Zum anderen werde in diesem Jahr in den Nachwuchsfilmen verstärkt die materielle Armut in Szene gesetzt, meist gepaart mit menschlicher Herzlichkeit.

Die Qualität der Filme steigt

Fünf Wochen hat die siebenköpfige Programmgruppe mit der Sichtung von knapp 1000 Filmen zugebracht, um daraus 100 Streifen für das Programm herauszudestillieren. Ein wenig mögen sie sich unter dieser Flut von Bildern gefühlt haben wie die Protagonisten in „Boulevard’s End“ im Angesicht des Ozeans. Der Dokumentarfilm, der ebenfalls im Programm läuft, beobachtet in atmosphärischen Bildern die Diversität der Menschen, die auf dem Venice Pier in Los Angeles Zuflucht und Erholung suchen.

Tasächlich werden jedes Jahr mehr Filme eingereicht – und die Qualität steigt. „Man braucht schon ein wenig Wahnsinn, um das durchzuhalten“, sagt Ira Glashagen. „Und viel Obst“, ergänzt ihre Kommilitonin Myriam Musolff. Es sei eine merkwürdige Blase, in der man sich während der Sichtung befinde, man schaue nur noch Filme und schlafe dazwischen. „Irgendwann denkt man permanent über die Filme nach, träumt sogar von ihnen.“

Um diesen Effekt geht es auch beim diesjährigen übergreifenden Festivalthema Echo – um das Echo, das die Filme beim Zuschauer hinterlassen nämlich. Das ist es auch, was der Nachwuchsschauspieler Constantin von Jascheroff von guten Filmen erwarte: „Dass sie nachhallen, dass man darüber noch nachdenken muss.“ Der 29-jährige („Tatort“, „Wilsberg“, „Einstein“, „Jagdhunde“) sitzt in diesem Jahr in der Jury für die langen Filme, die einen von insgesamt 16 „Sehsüchte“-Preisen vergibt. „Tolle Stoffe, tolle Leute, toll, dass junge Menschen das hier so geil auf die Beine stellen“, sagte Jascheroff am Donnerstag auf der Pressekonferenz des Festivals. Studenten wären noch bereit, völlig neue, ungewöhnliche Sachen auszuprobieren. Das sei der große Vorteil der Nachwuchsfilme, sagte der Schauspieler, der seit Kindesbeinen vor der Kamera steht und selbst bei vielen Studentenfilmen mitgespielt hat. Respekt zollte er auch der Programmgruppe, schließlich würden die meisten Menschen im ganzen Leben keine 1000 Filme anschauen.

Das größte Studentenfilmfestival Europas

Welcher Film die Jury bei der Sichtung letztlich am meisten überrascht hat, will Jascheroff nicht verraten. Noch nicht. Um das zu erfahren, müsse man sich bis zur Siegerehrung am 26. April gedulden. Seinen jungen Kollegen Maximilian Mauff (27), der über den Preis der kurzen Spielfilme mitentscheidet, hat vor allem überrascht, dass die deutschen Kurzfilme im internationalen Vergleich „etwas schwächlich“ seien. „Mehr Mut“, sagte Mauff, der jüngst neben Tom Hanks für den Spielberg-Film „Bridge of Spies“ vor der Kamera stand, für den auch vier Tage auf der Glienicker Brücke zwischen Potsdam und Berlin gedreht wurde.

Das Potsdamer Studentenfilmfestival erwartet wie im Vorjahr auch 2015 wieder rund 7000 Besucher an den vier Festivaltagen. Seit Mitte der 1990er-Jahre gilt es als größtes Studentenfilmfestival Europas. Studierende der Medienwissenschaften organisieren das Festival in Eigenregie. „Plötzlich hat man neben dem Studium einen Vollzeit-Job“, so Silya Schmidt, die zusammen mit Charlotte Gondolf und Antonia Zülka das Festival leitet. Eine Herausforderung, der sich die Studierenden aber gerne stellen. „Ich würde das auch mein Leben lang machen“, sagt Programm-Macherin Ira Glashagen.

In diesem Jahr will das Festival zu seinen Wurzeln zurückkehren: Man will wieder stärker ein Publikumsfestival werden. Alle Sektionen im Studiokino und in der Filmuni sind für die Öffentlichkeit zugänglich und am 26. April gibt es erstmals eine Vorführung der Siegerfilme. Vielleicht kann man dabei dann auch den heimlichen Favoriten sehen. „Larp“ aus Polen wurde von allen empfohlen, ein Film der mit den Konventionen der Genres breche, hieß es.

Das Programm im Internet:

2015.sehsuechte.de

Zur Startseite